Nach Weimar

Elf Berliner Künstlerinnen und Künstler inszenierten in der ACC Galerie ihre Arbeiten unter dem Titel „kulisseweimar“

Auf dem Weg zur ACC Galerie können wir über „kulisseweimar“, den Titel der Ausstellung, nachdenken. Werden wir Kunst sehen, die speziell auf Weimar bezogen ist? Was erwarten wir von Weimar? Wirken Kunstwerke hier anders als anderswo? Vielleicht wirkt das Konzept erst mal gar nicht so gut. Denn a) warum sollten sich Leute, die in Berlin leben, mit Weimar beschäftigen? Und b) kommt es in Ausstellungen ständig vor, dass Kunstwerke vor einer Kulisse präsentiert werden, in der sie nicht entstanden sind. Was ist daran Besonderes?

Obwohl keines der Kunstwerke speziell auf Weimar bezogen ist, machen die Punkte a) und b) durchaus Sinn. Mit „Kulisse“ als Leitbegriff wurde ein Begriff gefunden, der sich als angenehm luftig, dabei aber nicht beliebig erweist. In Weimar, dass wissen wir, wurden bedeutsame Theaterstücke geschrieben und am Bauhaus die Moderne erfunden. Hier findet man großartige Bauten, Hinweise auf das nahe gelegene ehemalige KZ Buchenwald und auch einen Laden, in dem es „Qualitätsbrieftaubenfutter“ gibt. Es bietet eine Kombination aus spezifischer Geschichte und Dingen, die man überall findet, Großartigem und Banalem, sichtbaren und unsichtbaren Kulissen. Das Gleiche könnte man auch von Berlin und anderen Orten sagen. Weil Menschen lokal geprägte und allgemeine Erfahrungen machen, ist der Titel der Ausstellung, die Theresa Flemming und Suse Weber zusammengestellt haben, nicht einfach eine taktisch kluge Verbeugung vor der Stadt. Er lässt sich als Suchbegriff verstehen bei der Frage, wie etwas in einem speziellen Umfeld wirkt, das schon da ist und zu dem man sich, kommt man in seine Nähe, in Beziehung setzt oder gesetzt wird.

Zum Beispiel hat ein Raum der ACC Galerie eine Decke in bröckelndem Rosa und Hellblau, und mit ihr hängt die Symbolik von bröckelndem Rosa und Hellblau über dem Kunstwerk von René Lück. Auf der einen Seite seiner Holzlatten und -platten steht unten links eine Buchattrappe, auf die Zeitungsausschnitte zu feministischen Aktionen in Westdeutschland geklebt sind. Will man sie lesen, muss man tief in die Hocke gehen. Von dort lässt sich auch gemütlich eine Weltkarte betrachten, die den „Status der Frau“ in der Welt illustrieren soll. Nun, kann man sich während der Hockhaltung erinnern, gibt es in deutschen Drogerien schon Aufkleber, die dazu anregen, dass auch Männer im Hocken pinkeln sollen. Wir haben aber nicht nur einen Mann, der Kunst über Frauen, sondern auch eine Frau, die Kunst über Männer macht. Tine Furler hat Bilder von jungen, halb nackten Männern an die Wand geklebt. Es handelt sich dabei um Christus, der von Dornen, und den heiligen Sebastian, der von Pfeilen angebohrt wird, wobei sich beide in schönem, hingebungsvollem Leiden befinden, neben Bildern von Männern, die auch ohne Pfeile eine ähnlich schöne Hingabe zeigen. Tine Furler hat sie aus zeitgenössischen Magazinen ausgeschnitten. Es steht fest: Auch das Geschlecht wirkt als Kulisse.

Wie Parolen erscheinen die Sätze, die Liu Anping auf großformatige Blätter, die flattrig an den Wänden hängen, gemalt hat. Liu Anpings Herkunft aus China ist in Weimar eine unsichtbare Kulisse. Wie er hat Suse Weber, bevor sie im gesamtdeutschen Berlin einzog, nicht nur in einem anderen Landstrich, sondern in einem anderen Staat gelebt. In der DDR nämlich, und auch dort waren Parolen beliebt. Suse Weber hat Spruchbänder aufgehängt, die sind aus blauem Dederonstoff, aus dem man noch FDJ-Hemden nähen könnte. Darauf sind mit reichlich Nadeln weiße Buchstaben gesteckt, dass es wandzeitungsgeschulten ehemaligen DDR-Kindern die Augen aufreißt. Was macht man ohne diesen gesellschaftlichen Hintergrund? Man könnte an Kunst denken, die sich mit dem ideologischen Gehalt von Handarbeiten – Stoff und Nadeln – beschäftigt. Zu den politischen Kulissen gehört auch das Dritte Reich, und es ist Leif Liebenschütz, der sich dessen Nachwirkung annimmt. Er hat ein wunderbar reichhaltiges Gedenkzimmer gestaltet, wo man an die Großeltern und ihr Lebensumfeld zurückdenken kann, während man die Verbindung zu seinen wattigen, gummigeschnürten, geschlitzten, bebrillten, gelederten und genieteten Objekten sucht.

Nach Betrachtung des modernen Lebensumfeldes hat Tatjana Doll in Sitzhöhe Bilder aufgehängt. Auf die sie Sitze gemalt hat. Mit grauer Lackfarbe. Von ganz nah gesehen, tut sich eine Welt aus faltigen, rotznasigen Farboberflächen auf, die nicht nur durch ihre strukturelle Vielfalt betören, sondern auch durch die hübschen Farbverläufe, mit Lila. Drumherum und teilweise über die Sitze hat sie Mattweiß gemalt. Schwappt die Umgebung vielleicht über Sitze? Erobert, besetzt die Kulisse schließlich die Kunst? HEIKE ENDTER

Bis 23. Februar, ACC Galerie, Weimar