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Archiv-Artikel

Ohne Flunkern kein Geld

Kita-Gutscheinsystem stellt ErziehungsurlauberInnen vor existenzielle Probleme: Ohne Job gibt es keinen Kita-Platz, ohne Kita-Platz nicht mal Arbeitslosengeld. Ein Dilemma, dass zum Lügen zwingt

Es gibt eben keine Oma, die sich um den kleinen Max kümmern kann

von KAIJA KUTTER

Fünf Jahre hat Dorothee Bimberg gearbeitet und auch fleißig in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Zuletzt als Marketing-Referentin auf einer befristeten Stelle. Doch Arbeitslosengeld soll sie nun nicht bekommen. Begründung: sie hat den zweijährigen Max, der betreut werden muss. Und solange Dorothee B. für ihren Sohn keinen Kita-Platz hat, steht sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Als die junge Mutter beim Kita-Amt nach einem Platz fragte, bekam sie ebenfalls eine Absage. Denn als „Arbeitssuchende“ steht sie im künftigen Kita-Gutscheinsystem am hintersten Ende der Rangliste. Frühestens wenn Max drei ist, könnte sie sicher einen Halbtagsplatz bekommen und dann halbes Arbeitslosengeld erhalten.

Für Jürgen Näther, den Leiter des Amtes für Kindertagesbetreuung, ist der Fall, dass eine Mutter kein Arbeitslosengeld bekommt, „unrealistisch“. Näther: „Sie muss ja beim Arbeitsamt nur behaupten, dass die Betreuung durch die Oma gesichert ist. Wenn sie dann zum Bewerbungsgespräch muss, fliegt das vielleicht mal auf.“ Dorothee Bimberg kam eine solche Flunkerei nicht in den Sinn. „Ich hab dort einfach ehrlich gesagt, wie es ist.“ Und das heißt, das es weder eine Oma noch eine Nachbarin gibt, die sich um den Kleinen kümmern kann.

Die taz-hamburg hatte über diese Schattenseite des Kita-Gutscheinsystems unter dem Titel „Ohne Oma kein Geld“ bereits im November berichtet. Inzwischen hat es ein Abkommen zwischen Rolf Steil, dem Chef des Hamburger Arbeitsamtes, und dem Staatsrat der Bildungsbehörde, Reinhard Behrens, gegeben. Die Behörde stellt eine eintägige „Stand-by-Betreuung“ für Bewerbungsgespräche und eine „Betreuungsgarantie“ für BerufsrückkehrerInnen sicher.

Im Gegenzug wird das Arbeitsamt das Arbeitslosengeld weiter zahlen. Auch wenn arbeitssuchende Eltern künftig nur noch Anspruch auf den minimalen Platz von vier Stunden für Drei bis Sechsjährige haben. Denn die Behörde garantiert eine Aufstockung auf die nötige Betreuungszahl, sowie die Eltern wieder in Lohn und Brot sind.

Man habe nun „bessere Chancen für Arbeitssuchende“, ließ Senator Rudolf Lange (FDP) Ende Januar verkünden. Der „Wiedereinstieg in den Beruf“ werde „erleichtert“. Doch leider lässt die Absprache eine große Lücke, in die wie Dorothee Bimberg gewiss noch mehrere hundert Mütter dieser Stadt hineinfallen. So sind „Stand-by“ und „Betreungsgarantie“ nur für jene gedacht, die aus der Stadtkasse Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe beziehen oder „vorübergehend arbeitslos“ sind. Mit „arbeitslos“, so erklärt Jürgen Näther, sind nur Eltern gemeint, die schon einmal für ihr Kind einen Kita-Platz hatten. Ausdrücklich ausgenommen sind Mütter wie Dorothee Bimberg, die noch nie einen Fuß im Kita-System hatten und ihn auch nur schwer hineinbekommen, weil sie zum Zeitpunkt der Geburt ohne festen Arbeitsplatz waren.

Knut Böhrnsen, der Sprecher des Hamburger Arbeitsamtes, wusste nichts von dieser Lücke. „Wenn das so ist, muss da für meinen Geschmack nachgebessert werden“, sagt er. Voraussetzung für den Erhalt von Arbeitslosengeld sei nun mal „dass sie morgen einen Job annehmen können“. Böhrnsen: „Das Arbeitsamt ist nicht dafür da, diesen Personenkreis zwischenzufinanzieren, bis ein Kita-Platz gefunden wird.“

Im alten Kita-System rangierte deshalb das Kriterium „Arbeitssuche“ relativ weit oben gleichauf mit „Berufstätigkeit“, wobei Familien mit geringem Einkommen eher einen Platz bekamen als wohlhabende. Ein System, das aus Behördensicht eine effiziente Platznutzung verhinderte, weil nicht alle Mütter, die einen Platz hatten, auch Arbeit fanden. Aber dafür vermied die alte Regel, dass Mütter um ihr dringend benötigtes Geld gebracht werden.

So wird es auch in Bimbergs Familienkasse gerade knapp. Der Partner verdient zwar einigermaßen, so dass Sozialhilfe für sie nicht in Frage käme. Doch das monatliche Erziehungsgeld von 300 Euro wird zwei Jahre nach der Geburt des Kindes nicht weitergezahlt. Auch muss sich die Marketing-Expertin fortan selbst teuer krankenversichern.

Nach mehreren Behördengängen ist für die Mutter zumindest eine provisorische Lösung in Sicht. Der Junge geht gern für drei Stunden auf einen betreuten Spielplatz. Und die Tagespflegebörse im Bezirksamt wäre bereit, für zwei Stunden eine Tagesmutter zu bezahlen. Die Person, die ihren Sohn für die zwei Stunden nimmt, muss sie allerdings erst noch finden. Auch bekäme sie dann nicht das volle, sondern nur das halbe Arbeitslosengeld.