: Fehlende Popstarhaftigkeit
Viel zu selten gezeigte Musikvideo-Parallwelten: Die „Clipzone“-Rolle im 3001
von NIKOLA DURIC
Nach mehreren Stunden Videoclips im Musikfernsehen fragen sich einige Menschen unweigerlich, wie Scripts für solche Machwerke wohl aussehen mögen – Künstler X oder Gruppe Y sitzt cool gestylt im dicken Auto und fährt durch die Nachbarschaft. Scharfe Girls in heißen Klamotten stehen in den Vorstadtgärten und beginnen auf Kommando mit einer ausgefeilten sexy Choreografie.
So oder ähnlich zumindest sind die Scripts, die letzlich mit Geld versehen und realisiert werden. Es gibt jedoch noch eine andere Welt des Musikfernsehens, die das Format „Clipzone“ zeigt, das heute Abend im 3001 Kino präsentiert wird. Für die Branchenmesse Popkomm kompilierte der Hamburger Musiker Andreas Dorau 21 interessante Videos des Jahres 2002, die kaum oder gar nicht auf MTV oder Viva gezeigt worden sind. Denn spätestens, nachdem Viva 2 aus dem Programm genommen wurde, weil sich seine Zielgruppe in keine ordentliche Verwertungstabelle übertragen ließ, zeigen die beiden Hauptmusiksender fast ausschließlich die Top 100-Clips der Media Control Charts. Doch ist es inzwischen möglich, mit einem kleineren Budget einen gut aussehenden Clip zu drehen. Gezeigt werden diese Clips deshalb aber noch lange nicht.
Zwischen bewegten Lego-Welten (White Stripes), Fingerpuppendramen (Del Amitri) und mutierenden Zeichentrickevolutionen (Air) tun sich kleine Universen voller Phantasie und Mut auf. Besonders auffallend ist vielfach der hohe Anteil an Alltag. Was fast alle gemeinsam haben, ist die angenehm fehlende Popstarhaftigkeit, in den wenigsten Kurzfilmen treten die Musiker selbst in Erscheinung.
Die eindrücklichsten Filme basieren auf nur einer starken Idee: Bei den Chemical Brothers ist es der Kamerablick aus einem fahrenden Zug. Die Strommasten unterbrechen das Bild im Takt der einsetzenden Hi-Hats. Die Frankfurter Elektroniker Sensorama zeigen aufwachende und sich schlafen legende, aufblasbare Alltagsgegenstände in trauriger und melancholischer Umgebung. Der Filmemacher Jörg Adolph hat für The Notwist einen Dokumentarfilm über Modelleisenbahnen gedreht, die Musik liegt unprätentiös im Hintergrund, während die Erbauer immer wieder zu Wort kommen. „O-Ton“ heißt diese Version des Songs „Pilot“.
Neben bösen Märchen (Tool) im Stil von David Lynchs Earaserhead und anwachsender Schambehaarung (Peaches) geht so manche Geschichte gut aus: Das Schneemännchen Leno wird in einem Clip von Röyksopp von einem Artgenossen aus dem Zoo befreit, die schlimmen Träume der toten Ente aus dem Film About A Boy von einem Außerirdischen ins Gute gewandt. Überhaupt sind es Erzählungen, die das letzte Drittel der gezeigten Videos von der Stangenware unterscheiden.
Sigur Rós zeigen die sanfte Entwicklung einer jungen Liebe, die nur weil sie schwul ist, eine brutale Ächtung auf dem Land erfährt. In ihrem Dogma-artigen Clip „Flimmern“ zeigen Die Goldenen Zitronen esoterische Lockerungsübungen der New Economy Generation. Hier zeigt sich, wie allein durch gutes Casting der Mitwirkenden die Intensität des Clips steigt. Am schönsten jedoch ist das Video des Rappers Roots Manuva: Nach 20 Jahren kehrt er an seine alte Schule im Osten Londons zurück und erinnert sich, dort die Kinderolympiade schändlich verloren zu haben. Nun tritt er, durchtrainiert und mit fiesen Tricks gewappnet, erneut gegen die Knirpse an und gewinnt respektlos in Eierlauf, Hindernissparcours und Drei-Beine-Spurt. In seinem Sportwagen erklärt er später, wie bewegend die Begegnung mit den Kindern gewesen ist.
Das Ende der Filmrolle bleibt noch einmal den Weltstars überlassen. In einem Clip von Pulp treffen sich Sänger und Musiker aus dem vorderen Chartsbereich, um eine Benefizsingle für die Liebe einzusingen. Allerdings handelt es sich bei den Protagonisten allesamt um Doubles, deren Stimmen ihren Vorbildern zwar ähnlich sind, die jedoch nur eine charmante „bad cover version“ hinbekommen.
Premiere mit Gästen: heute, 22.45 Uhr; weitere Vorführung: Dienstag, 18.2., 22.45 Uhr, 3001