: Amtsgericht: „Skrupelloser Apotheker“
Zum ersten Mal im Bremer „Apotheken-Skandal“ verurteilte das Amtsgericht einen Apotheker – wegen „gewerbsmäßigen Betrugs“. Er soll HIV-Kranken Bargeld statt Medikamenten für ihre Rezepte gegeben haben
taz ■ „Der Angeklagte hat aus Profitgier gesundheitliche Nachteile von Patienten wissentlich in Kauf genommen.“ Wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilte gestern das Bremer Amtsgericht den ehemaligen Apotheker der Hohentors-Apotheke in der Neustadt zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr sowie zu 7.000 Euro Geldbuße zugunsten der Bremer AIDS-Hilfe. Heinz F. darf zudem frühestens in einem Jahr wieder als selbstständiger Apotheker arbeiten und muss Krankenkassen und Sozialamt 43.000 Euro Schadensersatz leisten. Bisher waren im so genannten Bremer Apotheken-Skandal lediglich einige Junkies wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt, zwei Verfahren gegen ApothekerInnen indes eingestellt worden.
Anders in diesem Fall: Nach 16 Verhandlungstagen sah es das Gericht als erwiesen an, dass F. teure HIV-Medikamente zwar abgerechnet, den PatientInnen aber statt der für sie lebenswichtigen Medizin nur etwas Bargeld gegeben habe – ein „skrupelloses Vorgehen“, wie Richter Hans Ahlers betonte. F. bestreitet weiter alle Vorwürfe und kündigte an, Rechtsmittel einzulegen. Nicht er, sondern andere ApothekerInnen hätten bestraft werden müssen: „Hier sitzt der Falsche auf der Anklagebank.“
Unklar ist bis heute der Umfang des Schadens. Die Kripo hatte zunächst die abgerechneten Rezepte mit der Einkaufsliste der Apotheke verglichen. Ergebnis: F. hatte weit weniger Medikamente bestellt, als er an Kranke abgegeben haben will – mutmaßlicher Schaden für die Kassen: 260.000 Euro. F. hatte diese Rechnung heftig kritisiert. Er habe die Pillen nicht nur über den Großhandel, sondern auch direkt von anderen Apotheken bezogen – per Tauschhandel und also ohne jeden Beleg.
„Wir können nicht ausschließen, dass es weitere Lieferungen gegeben hat aus Quellen, die der Angeklagte nicht aufdecken will“, gab Richter Ahlers gestern zu. Die von der Polizei ermittelte Schadenshöhe steht zudem auch im Widerspruch zu den Angaben, die PatientInnen vor Gericht gemacht hatten.
Ihr Urteil stützten die vier RichterInnen daher nur auf durch sieben Zeugenaussagen nachgewiesene Deals in einer Gesamtschadenshöhe von rund 43.000 Euro – einer „Mindestsumme“, wie Ahlers unterstrich: „Wir gehen davon aus, dass es diese Praxis noch in weiterem Umfang gab.“ Mit dem System „Bargeld gegen Rezept“ habe sich F. „eine dauerhafte Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer“ eingerichtet.
Die Bremer AOK begrüßte das Urteil. Man werde alles daran setzen, den Schaden ersetzt zu bekommen, sagte AOK-Sprecher Jens Rosenbrock. Das gelte auch für die beiden Fälle, in denen das Verfahren gegen die ApothekerInnen bereits eingestellt wurde. Die Bremer Apothekerkammer will berufsrechtliche Konsequenzen gegen F. prüfen.
Insbesondere die Abrechnungen von HIV-Medikamenten würden seit dem Skandal genauer unter die Lupe genommen, sagte Beate Jungmann-Klaar von der Handelskrankenkasse. Auf ähnliche Betrugsfälle sei man allerdings nicht mehr gestoßen. Das bestätigte auch die kassenübergreifende phamazeutische Beratungs- und Prüfstelle im Land Bremen. Unmöglich sei Betrug der Kassen dennoch nicht. Jungmann-Klaar: „Leute mit krimineller Energie sind den Prüfgremien immer einen Schritt voraus.“ Armin Simon