GELD FÜRS KIND: KARLSRUHE AKZEPTIERT „PUNKTUELLE“ BENACHTEILIGUNG : Heirat lohnt sich auch mal nicht
Dieses Urteil regt zum Weiterdenken an. Gestern hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat zwar verpflichtet ist, einen Familienlastenausgleich durchzuführen, mit dem die Kosten für Kinder gesellschaftlich umverteilt werden. Bei der Ausgestaltung im Rahmen der Krankenversicherung hat Karlsruhe dem Gesetzgeber aber recht viel Spielraum gelassen.
Und das ist gut. Denn wenn in Zeiten knapper Kassen Verfassungsprinzipien wie der Eheschutz bis zum letzten Komma konsequent umgesetzt würden, käme das Geld nicht unbedingt dort an, wo es am nötigsten gebraucht wird. Gut verdienende verheiratete Eltern müssen daher akzeptieren, „punktuell“ auch mal gegenüber gut verdienenden ledigen Eltern benachteiligt zu werden, so das gestrige Urteil. Es genüge vielmehr eine „Gesamtbewertung“. Und da ist die Regelung der gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrer weit reichenden Mitversicherung von Ehegatten wohl eher ein Anreiz zu heiraten, als es sein zu lassen.
Die neue Karlsruher Beweglichkeit sollte nun aber auch auf das Steuerrecht übertragen werden, wo ausgerechnet ein Urteil des Verfassungsgerichts sinnvolle Mittelverwendung verhindert. Vor fünf Jahren entschied das Gericht, dass die Steuerfreibeträge für Kinder stark angehoben werden müssen. Ein Urteil, das naturgemäß lediglich reichen Eltern nützt, denn nur sie können die neuen hohen Freibeträge überhaupt nutzen. Sozial schwache Eltern sind darauf angewiesen, dass der Staat zum Ausgleich wenigstens das Kindergeld etwas erhöht oder mehr Kinderbetreuungseinrichtungen finanziert. Doch dafür fehlt das Geld, solange das Karlsruher Dogma gilt: Reiche Eltern dürfen steuerlich nicht schlechter stehen als reiche Kinderlose. Eine „Gesamtbewertung“ im Interesse aller Kinder könnte dem Gesetzgeber auch hier Spielräume öffnen. Natürlich muss man mit derartigen Gesamtbetrachtungen, die zu Lasten individueller Ansprüche gehen, sehr vorsichtig sein. Extremes Beispiel: Die Folter eines Individuums dürfte nie mit der Sicherheit von vielen begründet werden. Doch davon kann bei einer sozialeren Ausgestaltung der Familienförderung wohl kaum die Rede sein. CHRISTIAN RATH