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Archiv-Artikel

Gejagt von der Camorra

Ich will ein Leben. Ich will eine Wohnung. Ich will mich verlieben, ich will draußen ein Bier trinken, in einen Buchladen gehen.“ Roberto Saviano hat bescheidene Wünsche – doch die bleiben vorerst unerfüllbar. Denn die Camorra trachtet dem jungen Erfolgsautor nach dem Leben. Wie jetzt bekannt wurde, bereitet der „Clan der Casalesi“ – die Mafiosi aus Savianos Heimatstadt Casal di Principe – einen Anschlag gegen ihren schärfsten Kritiker vor. Angeblich sollte er in der Weihnachtszeit auf der Autobahn Rom–Neapel samt Begleitschützern in die Luft gesprengt werden – ganz so wie die sizilianischen Corleonesi 1992 die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino umbrachten.

Den Hass der Casalesi zog sich der erst 29-jährige Saviano mit seinem Buch „Gomorrha“ zu. Die leidenschaftliche Anklageschrift gegen die Camorra wurde allein in Italien weit über eine Million Mal verkauft, in elf Sprachen übersetzt und verfilmt. Und die Casalesi, die wohl mächtigste Camorra-Gang im Raum Neapel, die mit Drogen, mit dem Müllbusiness, aber auch mit Supermärkten, Bau- und Textilfirmen Milliarden verdienten, rückten plötzlich ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jahrelang beschäftigten ihre Geschäfte, ihre blutigen Verbrechen höchstens die Provinzpresse – Saviano gelang es, den Schleier des Desinteresses herunterzureißen. „Davor haben sie Angst: vor Worten. Ist das nicht wunderbar?“, bilanziert er heute.

Die Kehrseite für den jungen Autor ist, dass er seit zwei Jahren in Isolation lebt, dass er wie ein Gefangener in Carabinieri-Kasernen nächtigt, immer umgeben von den sieben Begleitschützern, die der Staat ihm stellt. Am schlimmsten ist für Saviano die Abneigung, die ihm von Menschen in Casal di Principe oder Neapel entgegenschlägt. Vor wenigen Wochen erzählte er bitter lächelnd, wie ihn die Begleitschützer aus seiner früheren Wohnung wegbrachten. „Die Leute vor dem Haus sagten, ‚endlich haben sie dich verhaftet‘, und das geschah in einem Viertel, in dem eine Verhaftungsaktion normalerweise nie solche enthusiastischen Reaktionen auslöst.“

Ein Nestbeschmutzer, der nur Geld machen will: So stellt ihn die Camorra hin, mit einigem Erfolg. „Saviano Scheißkerl“ steht auf Häuserwänden in Casal di Principe, und niemand in Neapel wollte ihm eine Wohnung vermieten. Der Staat hat außer Begleitschutz nur wohlfeile Ratschläge. „Vielleicht sollte er sich vom Thema Kriminalität lösen und über anderes schreiben“, meinte Neapels Anti-Mafia-Staatsanwalt Franco Roberti, nachdem er den Autor empfangen hatte. Saviano zog die Konsequenzen. Er kündigte in der Repubblica an, er wolle jetzt erst einmal ins Ausland gehen. MICHAEL BRAUN