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Archiv-Artikel

Nachrichten aus der „Judengasse“

Der Kunstraum des Bundestages zeigt Fotos der US-Künstlerin Susan Hiller über Straßennamen mit „Jude“ im Wort

Auf den ersten Blick ist auf dem Foto nur eine verschneite Straßenszene irgendwo in Deutschland zu sehen. Dann fällt der Blick auf das Schild mit der Aufschrift „Judenstraße“. Susan Hiller hatte ein seltsames Gefühl, als sie bei einem Besuch in Deutschland auf ein Straßenschild mit dem Namen Judenstraße traf. Die 1940 in Florida geborene Künstlerin recherchierte und entdeckte, dass es in ganz Deutschland hunderte von Straßen, Plätze, Pfade und Feldwege gibt, in deren Namen das Wort Jude enthalten ist. Rund 300 Namensschilder hat Hiller für ihr J-Street-Projekt fotografiert. Ein Teil ist seit Dienstag im Kunstraum des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu sehen.

Bei der Eröffnung erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert, die Fotos zeigten, dass es den Nazis nie gelungen sei, die weit zurück reichende deutsch-jüdische Geschichte zu eliminieren. Allerdings können die Fotos auch als Dokumentation einer jahrhundertealten Geschichte von Antisemitismus und antijüdischer Verfolgung in Deutschland interpretiert werden. So erinnert das Foto mit dem Straßenschild „Am Judenstein“, das Hiller in Regensburg aufgenommen hat, an ein judenfeindliches Pogrom im 16. Jahrhundert, bei dem das jüdische Viertel der Stadt zerstört wurde. Die Steine wurden zum Häuserbau in der ganzen Stadt verwendet. Die meisten sind heute nicht mehr zu sehen. Nur der Stein, der der Straße ihren Namen gab, steht gut sichtbar an einer Hauswand.

Die fortdauernde Präsenz des Antisemitismus sowie den Widerstand dagegen hat Hiller auf einem Foto aus dem Städtchen Weißenfels in Sachsen-Anhalt festgehalten. Auf einer Hauswand mit dem Straßenschild „Judengasse“ sind neonazistische Parolen zu sehen. Die wurden allerdings durchgestrichen und darunter wird eine „von NPD-Spinnern freie Zone“ gefordert. Eindrucksvoller noch als diese Kommentare sind die vielen Fotos aus deutschen Landen, auf denen scheinbar nichts Besonderes zu sehen ist. So steht auf einen einsamen Waldweg das Schild „Judenpfad“.

Gerne würde man die Geschichte hinter Namen wie „Untere Judengasse“, „Judenbuckel“, „Judenpfad“ erfahren. Hiller versteht das J-Street-Projekt als Erinnerungsarbeit. Das ist ihr hervorragend gelungen. Gerade mit ihren scheinbar einfachen Fotos ohne weitere Erklärung schafft sie es, die BetrachterInnen zum Nachdenken anzuregen. Im Medienraum des Kunstraums hat Hiller in einer Videoinstallation den Alltag um die unterschiedlichen Straßen mit jüdischen Namen eingefangen. PETER NOWAK

Die Ausstellung „Das J-Street-Projekt“ ist bis zum 11. Januar im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus am Schiffbauerdamm zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag 11–17 Uhr. Eintritt frei.