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Archiv-Artikel

Jetzt, wo die dunkle Zeit beginnt

Die Champagnerlaune ist erst einmal verflogen: Auf der Frieze Art Fair in London suchen die Galerien der Finanzmarktkrise mit Marken-Nimbus und internationalen Stars zu begegnen. Und die besorgten Herrenzirkel am Rande der Kojen warten auf den Ausgang der Herbstauktionen am Wochenende

Die Deutsche Bank hielt die Flagge hoch als Hauptsponsor der Frieze und ermöglichte obendrein eine Ausstellung von Anish Kapoor

VON HENRIKE THOMSEN

Als er die beiden älteren Herren auf sich zutreten sieht, begrüßt Matthew Slotover sie mit einem Lächeln. Doch bei den beiden amerikanischen Geschäftsmännern hat der Champagner, der dank des Sponsors Laurent-Perrier auf der Willkommensparty der Frieze Art London wie in besten Zeiten fließt, offenbar nichts bewirkt. Sofort kommen sie auf die wirtschaftliche Lage zu sprechen und was Messe-Chef Slotover für sein Verkaufsforum der Gegenwartskunst erwarte? Der zierliche junge Mann im perfekt sitzenden Anzug lächelt. Er dürfte diese Frage in den letzten Tagen so oft gehört haben wie keine andere. Wie sich Frieze Art und das Auktionshaus Phillips de Pury bis Samstag schlagen, wird ängstlich als Indikator für die Geschäftsentwicklung erwartet. Slotover reicht den Schwarzen Peter flugs an die Auktionshäuser weiter: Dort habe man viel eher ein Problem, versichert er den begierig lauschenden Amerikanern.

Zwei Tage im Eröffnungstrubel zwischen mehr als 150 Galerien und Zusatzausstellungen mit insgesamt über 1.000 Künstlern mögen den Kopf der Kritikerin vernebelt haben, aber es scheint, als könnte der Messechef Recht behalten. Die zaghafte Stimmung löste sich zumindest durch die Art, wie der Stamm in der Krise zusammenrückte. Viele Liebhaber kamen, auch wenn sie mehr schauten und zögerlicher kauften. Künstler reisten zum Reden und Signieren an.

Die Deutsche Bank hielt die Flagge als Hauptsponsor der Frieze Art hoch und ermöglichte obendrein eine ungewöhnliche Ausstellung im Royal Institute of British Architects mit Entwürfen von Anish Kapoor für Gebäude, U-Bahn-Eingänge und häusergroße Skulpturen. Kapoor stammt aus Indien, hat sich aber lange vor dem aktuellen Hype der Kunst aus seinem Heimatland einen Namen gemacht. Stets berührten seine großformatigen, geheimnisvoll glänzenden und lockenden Skulpturen die Grenze zur Architektur. Die Ausstellung zeigt seinen Beitrag zu konkreten Bauprojekten, etwa zu einem U-Bahn-Eingang in Neapel, der von einer Art riesigem stählernem Karabinerhaken eingefasst wird.

Anish Kapoors Annäherung an die Architektur (die meisten Entwürfe wurden nicht umgesetzt) macht nebenbei die künstlerischen Strategien von Büros wie Zaha Hadid oder Herzog & de Meuron deutlich: Ein Gebäude muss als Fetisch und als Charakter einer Erzählung funktionieren, um Karriere zu machen. Kapoors Gebilde wirken wie Raumschiffe, die in der Science-Fiction selbst oft zu Helden werden: gleißend, schwebend, oftmals bedrohlich – übernatürliche Erscheinungen, die ahnungslose Passanten einsaugen und Ungewisses mit ihnen veranstalten – demnächst auch in der Deutschen Guggenheim in Berlin, wo ab dem 30. November die Installation „memory“ zu sehen sein wird.

Eine große Skulptur von Anish Kapoor ist auch im Messezelt der Frieze Art ein Blickfänger. In dem Achteck, das sich aus vielen kleineren Oktogonen aus poliertem Stahl zusammensetzt, spiegelt sich der Betrachter winzig und auf den Kopf gestellt. Dass sich mancher seit der Finanzkrise genauso fühlt, bezeugten unüberhörbare Handy-Konferenzen über die Sicherheit von Konten in Island, besorgte Herrenzirkel am Rande der Kojen und die Grußformel „Jetzt wo die dunkle Zeit beginnt…“.

Für viele Galeristen ließ sich das Geschäft zäher an als sonst. Einige Sammler, vor allem aus den USA, durften sie nicht erwarten, aber die hatten sich bereits in Basel und Miami rar gemacht. Und wie auf dem Finanzmarkt ist es eine Krise auf höchstem Niveau: Bei der Galerie „Metro Pictures“ aus New York runzelte man die Stirn, weil Fotoarbeiten von Cindy Sherman nicht wie sonst schon Tage zuvor vergriffen waren. Verkauft wurden sie in den ersten Stunden aber doch für 175.000 US-Dollar das Stück.

Überlebensfähig dürften die Händler sein, die sich ohnehin eine besonders starke Stellung mit internationalen Künstlerstars aufgebaut haben, im Trend-Markt mit asiatischen Künstlern Fuß gefasst oder brandneue und teilweise extra für die Messe geschaffene Arbeiten im Gepäck haben oder, inzwischen als Galerie-Marke etabliert, als eine feste Größe gelten. Für „Hauser & Wirth“ aus London und Zürich fallen die ersten beiden Faktoren zusammen mit dem Ergebnis, dass nach anderthalb Stunden zwei Drittel des Standes verkauft waren, darunter eine Arbeit der indischstämmigen Bharti Kher für 300.000 US-Dollar. Ein verzweifelter französischer Sammler machte Miene, egal was von den Restposten zu kaufen, um ja nicht leer auszugehen.

Der Frische- und Marken-Faktor kam einigen Galerien aus Hamburg und Berlin zugute, die sich auf der Frieze Art mit einem oder wenigen Künstlern präsentierten und aus dem Gewirr des Angebots mit einer eigenen Atmosphäre hervorstachen. „Pur und direkt“, nennt es Alexander Schröder von der Galerie Neu, der auf eine geradezu bedrohliche Szenerie von mächtigen Käfiggehäusen des Künstlers Tom Burr setzte. Die Berliner Galeristin Isabella Bortolozzi zeigte als eine der wenigen eine große politische Arbeit von Stephen G. Rhodes zu US-Präsidenten und dem US-Wahlsystem. Sfeir-Semler ist auf den arabischen Raum spezialisiert und konnte nicht über mangelnde Nachfrage klagen.

Bei „Eigen + Art“, wo man sich auf die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas konzentrierte, klang man verhalten. Doch die markanten Schwarz-Weiß-Bilder, in denen Sasportas’ natürliche Landschaften in surrealistische Hirnwelten überführt, waren für die in Berlin und Leipzig ansässige Galerie fast ein Alleinstellungsmerkmal – es gab nur eine weitere Arbeit von Sasportas bei „Sommer Contemporary Art“ aus Tel Aviv. Auf längere Sicht ist der Optimismus für dieses Konzept berechtigter, als mit einer breiten Auswahl an gängigen Kandidaten anzutreten.

Wer darauf setzte, musste erleben, dass mitgebrachte Werke von Jonathan Monk oder Thomas Ruff teilweise identisch bei der Konkurrenz zu haben waren. So ein Second-Hand-Gefühl ist tödlich. Es schwächt die Stellung der Galerie gegenüber den Auktionshäusern. Glücklicherweise sind die derzeit weniger in Fresslaune als noch vor kurzem. Das britische Traditionshaus Philips de Pury wurde jüngst selbst von einem russischen Investor übernommen. Bei seiner Auktion am Samstag muss es sich behaupten. Erst danach wird man sagen können, wie es für den Kunstmarkt weitergeht.