: Terminator-Wadl in Theorie und Praxis
Das Gerhard-Marcks-Haus und das Wilhelm Wagenfeld Haus kümmern sich in der Doppelausstellung „Die Organische Form“ um die Geburt eines neuen Stilbegriffs für das 20. Jahrhundert. Dessen Taufbecken: ein ergonomisch bequemer Stuhl, wie geschaffen für einen Körper in Schwellung
Kantig sollte es sein und vor allem: radikal. Träge Bürger auf Trab bringen mit einer Kunst, die das Antikulturelle feiert und die Maschine liebt. Und die Geschwindigkeit, die starre Form, die Technik. Was sich die Futuristen ins Programm geschrieben haben, war gedacht als Provokation, als Aufbegehren gegen den Kunstbetrieb. Hat 1910 noch gut funktioniert, sowas.
Aber so konsequent, wie sie sich gaben, waren die Futuristen nicht. Der Bildhauer Rudolf Belling etwa baute 1921 eine Art Mensch-Maschine mit dem Titel „Organische Formen“: Das Terminator-Wadl der Figur geht über in einen ergonomisch-fließenden Oberschenkel, aus dem Vierkant-Unterarm wird eine formschön geschwollene Schulter. „Das erste Mal tauchte im Zusammenhang mit der Bildhauerei der Begriff der ‚organischen Form‘ auf“, so Ausstellungsmacher Jürgen Fitschen. „Viele Jahre, bevor Plastiken von Hans Arp und Henry Moore als ‚organisch‘ beschrieben werden.“
Die „Organische Form“ sei ein „Stilbegriff mit Epochencharakter“ – das ist Fitschens These, die der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses nun mit gleich zwei Ausstellungen zu belegen versucht: Im eigenen Haus zeigt er schwerpunktmäßig Arbeiten der „organischen“ Bildhauer Hans Arp und Henry Moore. Direkt gegenüber, im Wilhelm Wagenfeld-Haus, hat Beate Manske eine Austellung konzipiert, die die organische Form in der Produktgestaltung zwischen 1930 und 1960 präsentiert.
Nicht chronologisch, sondern geordnet nach Themenschwerpunkten geht’s vom Freischwinger über Bugholzmöbel hin zum Schalensitz. Stühle dominieren die Schau. Ausstellungsgestalter Jakob Gebert: „Der Stuhl ist das Objekt, das dem Menschen am nächsten zu Leibe rückt.“
Versammelt sind sowohl frühe Prototypen industriell gefertigter Stuhl-Klassiker als auch exquisite High-End-Entwürfe. Der „Armlehnsessel für die österreichische Postsparkasse“ trifft auf den „Orogone Chair“ aus dem Londoner Vitra Design Museum. Heutige Design-Stars wie Ron Arad und Marc Newson treffen auf Altmeister wie Alvar Aalto, Eero Saarinen, Marcel Breuer oder Ray und Charles Eames.
Das „Organische“ versteht man im Wagenfeldhaus als Synonym für „naturnah“, und zwar in zweierlei Hinsicht: „Biomorphe Formen“ seien gemeint und „Sitzmöbel, die durch dreidimensionale Verformung dem Körper des Nutzers angepasst sind“. Im Gerhard-Marcks-Haus bedeutet das „Organische“ laut Fitschen den „schwellenden Körper“, sowie den Fluss durch den „Wechsel von konkaven und konvexen Flächen“ und das „Mitdenken des Raumes durch Löcher“.
Ob sich aus diesen Definitionen genug Spezifisches ziehen lässt, um einen Stilbegriff zu prägen, ist fragwürdig. Aber immerhin: Bildhauerei und Design ziehen in einer Theoriefrage an einem Strang. Das schmeichelt der Designerseele – und befeuert das Bildhauer-Marketing.
Klaus Irler
Eröffnung: Sonntag, 16.2., 11.30 Uhr, Gerhard-Marcks-Haus. Öffnungszeiten Wagenfeld Haus (bis 29.6.): Di 15-21 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr. Öffnungszeiten Gerhard-Marcks-Haus (bis 18.5.): Di-So 10-18 Uhr. Kombikarte für beide Ausstellungen: 7 Euro