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Archiv-Artikel

Das verwundete Land im Schnee

Im Forum: Vincent Dieutre unternimmt in seinem Film „Mon voyage d’hiver“ eine Reise durch Deutschland

Da sieht man einen Film, den man im Einzelnen häufig nicht so gut findet und zuweilen sogar peinlich – wenn der Held zum Beispiel irgendwann davon erzählt, wie er seinem Freund einen blasen wollte, und der bekam keinen hoch. Aber im Ganzen gefällt es einem komischerweise: „Mon voyage d’hiver“ des Franzosen Vincent Dieutre ist eine Art Tagebuchfilm. In Super 16 und Video erzählt er von einer winterlichen Reise durch Deutschland, die der Filmemacher mit dem 15-jährigen Sohn einer Freundin unternimmt.

Die beiden fahren durch ein durchgehend verschneite Winterlandschaften, machen Station in Tübingen, Nürnberg, Weimar, Leipzig, Berlin. Verschneite Wälder, oft in der Abenddämmerung, ziehen vorbei. Es gibt einen durchgehenden Text; der Filmemacher raucht viel, nimmt Tabletten, die Hotelzimmer sind trist, der Junge schweigt meist.

Der elegante, homosexuelle Regisseur trifft auf dieser Reise alte Freunde, vergangene oder aktuelle Liebhaber mit graumelierten Bärten. Alle wirken ernst, traurig, gezeichnet von der Geschichte, die sich in ihre Körper gegraben hat. Georg, der langjährige Freund, hat Sprachstörungen und Aids. Dazu immer wieder die Lieder aus Schuberts „Winterreise“. Der Regisseur, der in manchen Einstellungen ein bisschen wie Heidegger aussieht, liebt Deutschland und versucht zu erklären, was ihm an dem Land so gefällt. Es ist etwas Ähnliches, was man als Westler an der DDR so interessant fand: das Beschädigte, dass die Schrecken der Geschichte so präsent sind, nicht nur an den Wänden mit Nazigraffiti, sondern auch in den Gesten, im Sprechen; das Altmodische; wie sich die große Geschichte in die Alltagskörper der Menschen eingeschrieben hat.

Der Film ist reich an Klischees, die einen als Nachkriegsdeutschen sofort nerven, weil das will man nicht sein. Der größte Teil psychischer Anstrengung die die deutschen Nachkriegsgenerationen unternommen haben, bestand ja schließlich gerade in der Distanzierung von dieser Geschichte. (Die Identifizierung mit den Opfern gehörte auch dazu.) Und diese Distanzierung verstellt vielleicht auch den Blick auf die hiesige Wirklichkeit; auf die Wunden, Verletzungen, die dem mehr auffallen, der aus einem anderen Land kommt.

Der Film von Vincent Dieutre ist still und schön. Das einem die Klischees so sehr auffallen, hat vielleicht auch etwas mit Abwehr zu tun, einer Abwehr, die in der schnellen Begeisterung für alles Nichtdeutsche oder auch in dem Wunsch präsent ist, kein Deutscher sein zu wollen. Wer möchte schon für seine Wunden geliebt werden. DETLEF KUHLBRODT

Heute, 17.30 Uhr, Arsenal. Morgen, 18.15 Uhr, Cinemaxx Potsdamer Platz 3