Der Kronzeuge gegen Eichel sticht nicht

Enttäuschung für die Union im „Lügenausschuss“ des Bundestags: Staatssekretär Overhaus nimmt Minister in Schutz

BERLIN taz ■ Wenn sich die Abgeordneten im Saal 4.900 in die Jackettasche greifen, quillt alles Mögliche heraus. Visitenkarten, zerknitterte Rechnungen, manchmal ein Füllhalter. Wenn Manfred Overhaus in seinen Anzug fasst, dann um ein seidenes Stofftaschentuch zur Hand zu nehmen. Der Finanzstaatssekretär tupft sich den Mund, ehe er dem „Wahllügenausschuss“ Rede und Antwort steht.

Die Unionsabgeordneten wollen nachweisen, dass die Regierung die Deutschen an der Nase herumführte. Rot-Grün habe längst vor der Wahl gewusst, dass der Etat 2002 völlig aus der Balance war. Und Dr. Manfred Overhaus ist ihr idealer Zeuge. Der 63-Jährige gilt als die graue Eminenz der Bundesregierung. Bereits unter dem CSU-Mann Theo Waigel war Overhaus Staatssekretär. Wenn es jemandem egal sein könnte, welche Partei unter ihm regiert, dann dem Hanseaten.

Overhaus erfüllt die Erwartungen der Opposition. Zunächst jedenfalls. Schon im Juli habeihm seine Steuerabteilung ein Alarmsignal gegeben: Die Steuereinnahmen lägen 6,8 Milliarden Euro unter dem Vorjahresergebnis, lautete die Prognose. „Das war eine Bombe“, berichtet Overhaus. Denn die Möglichkeit, die Neuverschuldung erhöhen zu müssen und damit die Maastricht-Kriterien zu verletzen, war erheblich gestiegen.

Bei der Union blickt nun Jürgen Gheb erstmals von seiner Bild auf. Sein Kollege Hans-Joachim Fuchtel nickt mit dem Kopf. Hat die Union Hans Eichel schon in der ersten Zeugenanhörung des Ausschusses der Lüge überführt? Immerhin hatte der Bundesfinanzminister noch Tage vor der Wahl behauptet, die 3 Prozent hohe Schuldenhürde von Maastricht werde „sicher“ nicht gerissen.

Der Obmann der CDU im Ausschuss, Peter Altmeier, setzt zur K.o.-Frage an. Er will Eichel gegen den seriösen Overhaus ausspielen: Hätte auch er gesagt, die Defizitgrenze würden „sicher“ eingehalten – angesichts der Zahlen, die er kannte?

„Wissen Sie, Herr Abgeordneter“, gibt Overhaus zurück, „alles Zukünftige ist mit Unsicherheit behaftet.“ Und dann wird der Edelbeamte ein bisschen unwirsch. Aus seinen Ausführungen sei doch wohl klar geworden, dass die Eigenschaft „sicher“ in der Haushaltsabteilung keine Rolle gespielt habe, überhaupt nie spiele – schon gar nicht bei Konjunkturturbulenzen.

Ja, die Steuerrückstände gegenüber der Planung hätten auch ihn alarmiert. Nur habe es „überhaupt keine Handlungsnotwendigkeit gegeben, etwas zu machen“. Selbst bei den Minuszahlen vom Juli nicht. Warum nicht, will Altmeier wissen? Weil es überhaupt nicht ausgeschlossen gewesen sei, dass man die geplanten Steuereinnahmen noch realisieren könne. Die gesamte Wirtschaftswissenschaft habe erst im September die Wachstumsprognosen gesenkt. Und auch, wenn das Steuerreferat im Finanzministerium warnte, habe er, Overhaus, seiner Erfahrung vertraut. „Ich habe verglichen, was die selben Leute zwei Monate vorher geschrieben hatten.“ Und da sei klar gewesen: Die Verschlechterung der Prognose im Juli beruhte auf einem einzigen Monat – den miserablen Steuereinnahmen des Juni. Seine Einschätzung war, „dass eine gute Chance bestand, unter den 3 Prozent von Maastricht zu bleiben.“ Ein einziger guter Monat hätte gereicht.

Der fleißige Altmeier lässt nicht locker. Das Steuerreferat habe doch Recht behalten. Natürlich, meint Overhaus, deren Schätzung sei gut gewesen. Und dann setzt Dr. Manfred Overhaus zu seinem K.o.-Schlag an: „Hinterher kann man eben sehr schlau sein.“ CHRISTIAN FÜLLER