: Der gute Amerikaner trinkt Appalachen-Quell
Das politische Establishment der USA ist derart wütend auf Europa, dass es sich selbst das Wasser abdreht
WASHINGTON taz ■ Sie werden ihren Vorstoß noch bereuen, die Abgeordneten des US-Kongresses. Spätestens wenn sie statt ihres geliebten Bordeaux ihrem Gaumen sauren Rebensaft aus Virginia und statt Evian-Wasser Appalachen-Quell zumuten müssen.
Die Wut des politischen Establishment in Amerika gegen die „Irakrebellen“ kennt derzeit offenbar keine Grenzen. Die Nation der Political Correctness läuft verbal Amok. Hier, wo man sonst nicht den kleinsten Witz über fette Amerikaner oder dumme Weiße zum Besten geben darf, werden Franzosen und Deutsche mal so richtig mit Dreck beworfen. „Undank!“ und „Egoismus!“, rufen Republikaner und Demokraten wütend vom Capitol Hill über den Atlantik – das dortige Nein zu einem Irakkrieg und die Nato-Planungen zum Schutz der Türkei liegen den Herren schwer im Magen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – das hat ihnen doch ihr Präsident gesagt. Und wer nicht hören will, muss eben fühlen. Was passt da besser, als die Exportweltmeister mit Wirtschaftssanktionen zu bestrafen?
„Wenn es nicht die heldenhaften Anstrengungen unseres Militärs gegeben hätte, wären Frankreich und Deutschland heute sowjetisch-sozialistische Republiken“, wettert der Abgeordente Tom Lantos und fordert etwas mehr unterwürfige Dankbarkeit. Die Uneinsichtigkeit dieser Staaten in Hinsicht auf ihre Verpflichtungen sei nicht entschuldbar. Beide Länder würden sich „blind unnachgiebig“ verhalten.
Auch sein Kollege Gary Ackerman mahnte die Franzosen zur Mäßigung. Ohne den Einsatz der US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg würden sie schließlich heute alle Deutsch sprechen. An die Adresse Berlins gerichtet, giftete Senator Joseph Biden, das deutsche Wirtschaftswunder sei überhaupt erst durch den „Schweiß türkischer Gastarbeiter“ möglich gewesen, Deutschlands Veto im Nato-Rat daher besonders geschmacklos.
Auch in den US-Medien eskaliert die Schlammschlacht. Frankreich und Deutschland seien eine „Achse von Drückebergern“. Hohn und Spott gelten jedoch vor allem der Grande Nation und Präsident Jacques Chirac. Im Wall Street Journal zieht Starkolumnist Christopher Hitchens vom Leder: Chirac sei ein „Pygmäen-Nachfolger“ de Gaulles, eitel und korrupt. Überdies versuche er, die Rolle einer „glatzköpfigen Jeanne d’Arc in Männerkleidern“ zu spielen. Seine Epistel beschließt er, indem er Chirac mit einer Ratte vergleicht, die zu röhren versuche.
Den derzeit sehr beliebten Feigheitsvorwurf an die Franzosen griff auch das Boulevardblatt New York Post auf und präsentierte auf der Titelseite ein Foto mit den Gräbern amerikanischer Soldaten, die in der Normandie gefallen sind. Überschrift: „Sie starben für Frankreich, doch Frankreich hat es vergessen.“ Im Text klagt der Schreiber die Franzosen an, wie sie es wagen können, zu vergessen. „Feiglinge sollten sich diese Grabmale anschauen.“ Doch das war noch nicht der Höhepunkt seines Zorns. „Ich fühle eine glühende Wut in mir, möchte Frankreich einen kollektiven Tritt in den Hintern geben.“
Man darf gespannt sein, zu welchen Steigerungen Washington noch fähig ist. Doch ganz ist Amerika noch nicht von allen guten Geistern verlassen. In der Washington Post war ein Cartoon zu sehen, das offenbar Symphatien für die beiden neuen Feinde in Europa kennt. „Keinen Marshall-Plan für den Irak!“, warnt ein aufgeregter Bush. „Sonst wird er eine wohlhabende Demokratie und am Ende so wie Frankreich und Deutschland: völlig unfähig, seine Nachbarn zu bedrohen.“ MICHAEL STRECK