Die Gesichter hinter dem Nein

Der Bischof: „Kurz bevor die Bomben fallen, fliegt der Papst in den Irak“

von HEIKE HAARHOFF
undKARIN DESMAROWITZ (Fotos)

Daddeln wird er für den Frieden, sagt Klaus und lacht. Daddeln. Bringt nichts, alles andere.

Klaus ist eine Instanz im Casino Hohensyburg. Mischt sich ein, wenn er etwas nicht einsieht, das Eintrittsgeld neuerdings beispielsweise, fünf Euro für Roulette und Blackjack, ein Euro für die Automaten. Geht dann erst mal zur Kasse, protestiert. Halsabschneider, die. Oder seine Kumpel. Merkt gleich ihren Gesichtern an, wenn sie sich in den Ruin spielen. Lass gut sein für heute, sagt er dann vorsichtig, geh mal nach Hause. Party Animal, Tales of Fortune, Hot Shot, King of Games, morgen ist auch noch ein Tag.

Kommt ja schon lange her, seit Jahren, mindestens alle zwei, drei Tage, nach seiner Schicht im Chemiewerk in Kamen. „Bromba heiß ich mit Nachnamen.“ Immer mit der Regionalbahn bis Dortmund Hauptbahnhof, dann weiter mit dem Casinobus, 55 Minuten Fahrzeit, aber die Spielbank Hohensyburg im Dortmunder Süden bleibt einfach die beste in Westfalen.

Wär ja schön, wenn mal genug für ein eigenes Auto rauskäme, war aber bisher nicht. Geld! Klar geht's da drum, immer und überall auf der Welt, auch beim Krieg jetzt, sagt Klaus Bromba, wann fängt der eigentlich an? Wenn der Ami und der Saddam beide genug Geld hätten, würden sie sich einen Teufel umeinander scheren. So, noch zwei, drei Spielchen, dann ist Schluss. Klaus Bromba hat sich ein Limit gesetzt, höchstens 20, 30 Euro pro Abend. Vor seiner Brust baumelt ein großes, hellblaues Kreuz mit goldenem Jesus draufgeklebt, der ist sein Talisman. „Ich sag immer meine Meinung“, sagt Klaus Bromba. Oder sieht er aus wie einer, der keine Meinung hat? „Werd bald 54.“ Und mit Geld kennt er sich aus, wie gesagt. Ausbreiten wird der Krieg sich, in der ganzen Welt, wenn der Ami den Saddam angreift, und deswegen kann man nur dagegen sein. Ganz schreckliche Sache, der Krieg. Oder? Aber eben nicht zur Demo, wo ist die überhaupt? Samstag in Berlin? Demonstrieren bringt gar nichts. Daddeln bringt was: schönes Geld nämlich vielleicht, statt kalter Füße ganz sicher. „Sagen die anderen bestimmt auch so, mach ich jede Wette, Menschen müssen sterben, weil Politiker geldgeil sind und Krieg spielen wollen.“ Graue Haare, zittrige Hand, konzentrierter Blick. 50 Cent der Einsatz. „Also dann gute Reise weiterhin.“

Gute Reise weiterhin, gute Reise quer durch Deutschland, von Ost nach Süd nach Nord nach West, in Städte, die Erfurt, Stuttgart, Hamburg und Dortmund heißen, aber auch ganz andere sein könnten, und zu Menschen, zufällig getroffen im Spielcasino oder in der Kirche, beim Fitnesstraining oder am Werkstor, bei McDonald's oder dem FC St. Pauli, in der Schule oder im Seniorentreff.

Irgendwo müssen sie sich schließlich verstecken, die Millionen Deutschen, die den drohenden Krieg im Irak ablehnen. 80 Prozent der Bevölkerung sind es laut Meinungsumfragen, macht 64 Millionen Individuen. Wenn das stimmt, dann kann kaum eine gesellschaftliche Gruppe ausgenommen sein, dann leben Kriegsgegner allerorten, getarnt als Rentner oder Schüler, Unternehmer oder Sozialhilfeempfänger, Reiche oder Arme, Gebildete oder Ungebildete, Konservative oder Linke, politisch Aktive oder Desinteressierte. Menschen mit Vornamen, Nachnamen, Gesicht und Meinung, in Umfragen zur anonymen Masse verrührt, kurz: Menschen wie du und Klaus.

Dortmund. Egal, das ist die erste Erkenntnis so einer Forschungsreise, ist der Krieg niemandem, obwohl er gar nicht in Deutschland stattfinden soll und niemand verlangt, dass die Bundeswehr teilnimmt. Vielleicht ist er einfach schon seit zu vielen Monaten angekündigt, als dass irgendwer sich noch traute zu behaupten, er habe keine Position zur Irakfrage. Nichts peinlicher als das! „Natürlich habe ich eine Meinung“, sagt die Dortmunder Kioskbesitzerin Christine Stritzke, 39 Jahre alt, in beinahe vorwurfsvollem Ton, „die Menschen da unten, das sind doch auch Zivilisten, ich will mal sagen, wir haben hier viele Kunden mit Bärten, da haben wir keine Schwierigkeiten mit, und dass die nun bombardiert werden sollen, nein, das möchte ich auf keinen Fall!“ Zwei Minuten vorher noch hatte sie schüchtern behauptet, Politik „eher nicht“ zu verfolgen und sich bei politischen Umfragen „lieber nicht“ äußern zu wollen.

Aber der drohende Irakkrieg ist keine politische Debatte mehr, er ist zur Glaubensfrage geworden, die genauso emotional entschieden wird wie andere Glaubensfragen auch: Christ oder Muslim? Borussia oder Schalke? Cola oder Pepsi? Krieg oder Frieden?

Die Gründe, gegen den Krieg zu sein, sind zahlreich, mit einer puren Friedfertigkeit haben sie selten zu tun. Wenn man die Menschen von Nord nach Süd nach West nach Ost beobachtet, dann ist keine generelle pazifistische Grundhaltung erkennbar, dann erschallt kein klares „Nie-wieder-Krieg“, wie man es vielleicht noch bis zum Ende des Kalten Krieges hören konnte, als die Welt auf eine Art unkomplizierter war: Weil Deutsche angesichts bestehender geopolitischer Verhältnisse erst gar nicht in die Verlegenheit kamen, über Kriege mitentscheiden zu dürfen, weil Golfkrieg II und Kosovo noch nicht stattgefunden hatten, weil die Debatte um Krieg als ein mögliches und unter Umständen notwendiges Mittel der Politik selbst unter Intellektuellen tabu war. Damals.

Hamburg. Heute ist nichts mehr anstößig oder gar verboten. Gegen den Krieg sein und trotzdem bei McDonald's essen? Vor 20 Jahren war das eine ernst gemeinte Frage. Heute wirkt sie peinlich, also besser gleich wieder runterschlucken. René Junge, 28, selbstständiger Musikunternehmer aus Hamburg, der mittags gerade bei McDonald's frühstückt, bevor er todmüde ins Bett fallen wird, sieht jedenfalls nicht aus, als habe er irgendwas übrig für die Symbolik der 80er mit ihrem Boykott von Autoherstellern, deren zivile Lkw in Krisengebieten zu Militärfahrzeugen umfunktioniert wurden, oder von Banken, die Krüger-Rand-Münzen des südafrikanischen Apartheid-Systems in ihre Vitrinen gelegt hatten.

René Junge sieht die Sache mit Frieden und Gerechtigkeit nüchtern. „Wenn es eine akute Bedrohung gäbe durch den Irak, wie beispielsweise 1990/91 in Kuwait, könnte ich mir einen Krieg vorstellen. Aber so, grundlos, mal abgesehen vom Öl, eben nicht.“

Dortmund. Man muss gar nicht friedensverliebter Utopist sein und kann diesen Krieg trotzdem glaubhaft missbilligen, und vielleicht macht genau das seine Ablehnung mehrheitsfähig. Winfried Koepke, 41 Jahre, Koch eines Dortmunder Großrestaurants, unterbricht für das Interview sogar kurz seine Arbeit, es ist ihm wichtig, mitzuteilen: „Wenn der Amerikaner den Irak gleich nach dem 11. September angegriffen hätte, hätte jeder gesagt, der Amerikaner ist klasse.“ Wenn.

Aber zum jetzigen Zeitpunkt wird der geplante Krieg als unlogisch und unfair empfunden. Beinahe scheint sein Ziel beliebig gewählt, sind doch die Brandherde weltweit so zahlreich, die gleichfalls in Ordnung gebracht werden könnten, deren Diktatoren ebenso wenig Macht verdienten wie Saddam Hussein. Warum also ausgerechnet der Irak, das ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Vorgehen und Entschlossenheit der USA wirken befremdlich selbst auf diejenigen, die dem Irak mit der größtmöglichen Abneigung und Amerika mit dem größtmöglichen Wohlwollen begegnen.

Die Gelassenheit, die vom Gefühl herrührt, für uns werde es schon nicht so schlimm

Erfurt. Stammtisch der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft, Mittwoch vor einer Woche. Stefan Renker sitzt beim zweiten Köstritzer und will erst mal klarstellen, dass er hier nur als Privatmann spricht und nicht etwa im Namen der Gesellschaft, die nur „Freundschaften zwischen Menschen pflegen“ wolle und sich ansonsten als „unpolitisch“ verstehe. Immerhin ist das Thema heikel, und neben ihm sitzt der amerikanische Fluglotse Mike Ferrel, seit 1993 in Erfurt beschäftigt und wie Renker regelmäßiger Teilnehmer des Stammtischs.

Ferrel sagt auch, dass, ginge es nach ihm, der Krieg vermieden werden müsse, zu viele Tote auf beiden Seiten vermutlich, Patriotismus hin oder her. Aber Renker spürt, dass jetzt Diplomatie angesagt ist, er beherrscht sie, er ist Jurist bei der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen. Renker, der Wessi bei einer ostdeutschen Landesgesellschaft, herrje, er hat gelernt, in diffizilen Situationen die richtigen Worte zu finden, solange er für diese diffizilen Situationen ein Quäntchen Verständnis aufzubringen vermag. Das will ihm hier nicht gelingen. Schon sprudelt es ungefiltert aus ihm heraus: „Ich bin ja nun wirklich kein Fan vom Schrödi, nie würde ich den wählen, und wenn's wirklich notwendig wäre im Irak, würde ich sagen, drauf, Jungs, schmeißt ein paar Bomben ab, am besten solche, wo das Verfallsdatum schon abgelaufen ist, und dann können wir neue produzieren.“ Er blickt zu Ferrel. Der verzieht keine Miene, schon okay für ihn, wenn Renker jetzt in Polterton verfällt. Also weiter. „Aber dieser Krieg ist unglaubwürdig! Den Irak angreifen zu müssen, weil er vielleicht an einer Atombombe bastelt, leuchtet mir einfach nicht ein! Da stecken andere Interessen hinter, wirtschaftliche, strategische, was weiß ich!“

Stuttgart. Es sind dieses Unverständnis und die Irritation über die unlauteren Motive für den Krieg, die die ungewöhnliche Breite des Bündnisses der Kriegsgegner schaffen. Da findet sich beispielsweise eine Christine Arlt-Palmer von der Frauen-Union Stuttgart mit ihrer Aussage: „Wir müssen alles tun, um den Krieg zu vermeiden“, in einer Interessengemeinschaft wieder, die ihr eigentlich zuwider sein dürfte. Arlt-Palmer in einem Boot mit der rot-grünen Bundesregierung, gegen die sie eben noch schwadroniert hat und sie, verquere Logik, ob ihrer „Nichtbeteiligung an der Drohkulisse am Golf“ der „Kriegstreiberei“ geziehen hat – schlimm genug. Und dann sitzen da noch im Anti-Kriegs-Boot mit ihr solche wie Horst Schmid. Der ist Kantinenhelfer bei Daimler, läuft nachmittags durch das graue Tor 2 vom Mercedes-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim, und hat schon immer gewusst, wer die „Scheiß-Imperialisten“ dieser Welt sind. Erst füttern sie Diktatoren mit Geld und Waffen, anschließend zetteln sie einen Krieg gegen sie an, um dann auch noch „redliche Staaten“ wie Deutschland, die sich zur Wehr setzen, gleichzusetzen mit Schurkenstaaten wie Kuba und Libyen. Deutschland, Kuba und Libyen. Auf einer Stufe. „Man muss sich das mal vorstellen“, sagt Horst Schmid und guckt so angewidert, als stelle er sich in Wirklichkeit gerade eine Riesensauerei in seiner Kantine vor, irgendwas Ehrverletzendes, so was vom Kaliber seine Frau und ein Fremder in seiner Kantine, die Wut färbt sein Gesicht ganz rot, und dann schreit er, „dass der Bush in den Arsch gefickt gehört“. So.

Erfurt. Außergewöhnlich ist die Einheit der Kriegsgegner, aber gering ist die Bereitschaft der meisten, für ihr Ziel Dinge zu tun, die sie etwas kosten könnten, und sei es nur eigene Zeit. Das ist eine weitere Erkenntnis der Forschungsreise, die nicht repräsentativen Befragungsdaten dazu: Von 43 Menschen, die sich an fünf Tagen in vier Städten äußerten, sprachen sich 41 strikt gegen den Krieg aus. Aber nur fünf erklärten, dass sie es erstens wichtig fänden und zweitens bereit seien, für ihr Anliegen auf die Straße zu gehen: die Schulleiterin des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums, an dem ein Schüler im vergangenen April 16 Mitschüler, Lehrer und Polizisten erschoss. Sowie: drei beschwipste Fans des Hamburger FC St. Pauli, die „dran gewöhnt sind, zu Demos zu gehen, wo's abgeht“. Schließlich: Weihbischof Hans-Reinhard Koch aus Erfurt.

Weihbischof Koch trägt ein hochgeschlossenes weißes Hemd unter einem schwarzen Wollpullover unter einer schweren schwarzen Tuchjacke. Er ist 73 Jahre alt, von seinem Büro im Erdgeschoss des Bischöflichen Ordinariats aus hat er erlebt, wie das DDR-System wegdemonstriert wurde.

Mit sanfter Stimme erzählt er die letzte aus seiner Sicht verbliebene Möglichkeit, wie der Krieg vielleicht doch noch abgewendet werden könnte. „Es gibt da eine Überlegung, die ich verlockend finde“, sagt er und lächelt bei ihrer Ankündigung geheimnivoll: „Kurz bevor die ersten Bomben fallen, fliegt der Papst in den Irak und bezieht ein großes, weißes Zelt zum Beten, als lebendiges Schutzschild sozusagen.“

Dann gucken die Augen wieder ernst. Hans-Reinhard Koch hat genug Lebenserfahrung, um zu wissen, dass der Plan nicht aufgehen wird. „Der Papst allein im Zelt reicht ja nicht, obwohl er es wahrscheinlich machen würde. Nein: es müssten auch der Dalai Lama, einer der Obersten der Evangelischen Kirche und je ein hochrangiger Vertreter der Muslime und der Juden sich im Zelt versammeln.“ Aber nicht einmal ihr Glaube, fürchtet er, werde diese Einheit herzustellen vermögen.

Insofern, sagt der Weihbischof ein bisschen traurig, „ist im Moment jede Initiative gut, die uns selbst zum Nachdenken bringt“. Gut möglich, dass er Gespräche mit Medien stillschweigend auch darunter verbucht, höflich wie er ist, denn eigentlich hat er keine Zeit, die Meinung der katholischen Kirche nun auch noch in Einzelaudienzen kundzutun.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat kürzlich eine schriftliche Erklärung verbreitet, in der nachzulesen ist, dass die Menschen statt Krieg gefälligst Frieden und Vernunft walten lassen sollen. Keine Rede mehr vom „gerechten Krieg“, die Päpste früherer Jahrhunderte gern mal auch im eigenen Interesse verbreiteten. „Diese Theorie wurde fallen gelassen. Heute ist der gerechte Friede unser Ziel“, sagt der Weihbischof, und zischt los: dass gerechter Friede eben nicht nur gerechter Friede „für Ölscheichs“ bedeute, dass es eine Schande für die Menschheit sei, dass Menschen im Irak hungerten, dass man „die Brüder, die den 11. September veranstaltet haben, kriegen muss, weil das Verbrecher sind“. Aber all das sei eben nicht mit Krieg zu erreichen, ruft er beinahe verzweifelt, so als müsse der Herr ihn doch endlich erhören in seiner Selbstqual, im Krieg einfach keinen höheren Sinn zu erkennen. „Man kann doch nicht wegen elf leerer Raketen einen Krieg anfangen. Man bombardiert doch umgekehrt auch nicht ganz Hamburg, weil der Verdacht besteht, dass dort Terroristen Unterschlupf gefunden haben.“

Weihbischof Koch muss los. Es gibt Friedensgebete in Erfurt, es gibt Treffen seiner Kommission „Justitiae et Pax“, es gibt viel zu tun, und er, der Weihbischof, wird nicht locker lassen mit seinen Bemühungen um den gerechten Frieden.

Schreckliche Sache, der Krieg. Oder? Aber zur Demo eben nicht, wo ist die überhaupt?

Hamburg. Sollen doch andere ihr Engagement zu Hause vorm Fernseher verkümmern lassen! Aber stimmt das? Will man den zig Millionen, die den Demonstrationen an diesem Samstag vermutlich fern bleiben werden, obwohl auch sie keinen Krieg wollen, ihre Entscheidung zum Vorwurf machen? Ist es denn tatsächlich so inakzeptabel, dass einige wohl auch deswegen zu Hause bleiben werden, weil sie wissen, dass ihr Protest die USA wenig beeindrucken dürfte und in der deutschen Politik ohnehin alles in ihrem Sinn läuft? Und: Ist nicht nachvollziehbar, erst in dem Moment auf die Straße gehen zu wollen, wenn es ernst für einen selbst wird? Eben.

Die Gelassenheit, die von dem Gefühl herrührt, dass es schon nicht so schlimm werde, für uns, versteht sich, ist dieser Tage überall spürbar. Keine übermäßige Angst vor Terroranschlägen im Waschsalon in Dortmund, keine Panik vor einem Dritten Weltkrieg bei den Kegelbrüdern in Stuttgart, wenig Aufruhr über Pockenimpfdebatten auf dem Spielplatz, Leichtigkeit im Fitnessstudio in Hamburg. „Also wir reden da in der Schule schon sehr viel drüber, und ich denke, dass ganz viele Menschen in der Region leiden werden unter den Folgen des Krieges“, sagt die 16-jährige Gymnasiastin Alisa von Gerkan von ihrem Laufband herab. „Aber dass ich jetzt glauben würde, dass der Krieg Auswirkungen auf mein persönliches Leben haben könnte, nein, das kann ich nicht sagen, dafür ist das doch zu weit weg.“

Und selbst in den Seniorentreffs und Kirchen, dort also, wo diejenigen anzutreffen sind, die brennende Dächer und Feuersturm und Bombenkeller nicht mehr aus ihren Albträumen verbannen können und deswegen eindringlich vor Krieg warnen, ist Angst jedenfalls ein Gefühl, das nun wirklich wenig präsent ist. Eher die Wut darüber, wie Fehler wider besseren Wissens wiederholt zu werden drohen. Und auch Ermüdung. Wer einmal schreckliche Formen von Gewalt am eigenen Leib erfahren hat, der fürchtet sich irgendwann nicht mehr vor dem Tod.

Dortmund. Für die anderen gilt: zu weit weg, zu abwegig, zu unwahrscheinlich. Je besser informiert der Mensch, desto größer seine Ruhe. Weil das, was man theoretisch kennt, trotz allem unvorstellbar bleibt.

In seinem hellen Büro mit Blick über den Dortmunder Campus bittet Professor Dr.-Ing. Rolf Wichmann, Spezialist für Bioverfahrenstechnik im Fachbereich Chemietechnik, es sich gemütlich zu machen. „Die Dosis macht das Gift, wie Paracelsus sagt.“ Er stiert nachdenklich vor sich hin. Er sagt nicht einfach lapidar: Missbrauch ist immer möglich. Er wendet sich nicht einfach wieder seiner Forschung über Shampoo, Arznei- und Schmerzmittel zu. Der Krieg beschäftigt ihn, keine Frage, auch wenn er, wie er sagt, seinen Studenten jetzt keine Ethikseminare über ihre Verantwortung als künftige Chemietechniker verordnet. Wichmann geht den Krieg mathematisch an: „Je höher die Zahl der Menschen, die sterben, desto größer der entstehende Hass.“

Auszurechnen auf der Fahrt zurück nach Hause bleibt dann, welche Dosis Rache den Gegnern der USA wohl angemessen scheint, ihren Hass erträglich zu halten.