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Archiv-Artikel

Eurythwie?

Die Anthroposophie stellt die Zusammenhänge zwischen der geistigen Wesenheit des Menschen und dem Kosmos in den Mittelpunkt. Die Eurythmie, die Rudolf Steiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die neunzehnjährige Lory Smits schuf, ist ein Weg, diese Verbindungen tanzend zu erleben und zu zeigen. Anthroposophen erhoffen sich von dem Bewegungstanz ein höheres Verständnis von der Welt.

Eurythmie ist eine Art Lautmalerei mit dem Körper. Wie der einzelne Buchstabe getanzt werden muss, erschließt sich aus der Art, wie er gesprochen wird. In den Vokalen klingt die Empfindung der Seele; die Konsonanten verkörpern die Außenwelt. Entgegen den gängigen Vorurteilen wird bei der Eurythmie ein Wort oder ein Gedicht nicht einfach durchbuchstabiert, sondern lautiert. Nicht der Inhalt, sondern der Gehalt eines Verses wird gestaltet. Also zum Beispiel die charakteristischen Buchstaben, die Stimmungen des Textes.

Anfänger wollen vor allem ihren eigenen Namen lautiert sehen, als erhofften sie sich eine höhere Kenntnis der eigenen Persönlichkeit, berichtet die Freie Bühnengemeinschaft für Eurythmie Berlin. Nun denn: taz zum Mitmachen! Der Plosivlaut t ist eine feierliche Gebärde, fast göttlich. Von oben kommend, senken sich beide Hände auf den Kopf nieder. Das a ist eine Öffnung, wie beim Zahnarzt. Es kann mit zwei weit ausgebreiteten Armen gestaltet werden oder auch nur mit einer kleinen Geste. Das z verleiht scharfe Konturen. Beim z werden die Arme in zackigen, scharfen Linien bewegt. Es kann die Luft in Stücke schneiden oder mit den Händen zart herabrieseln wie ein fallendes Blatt.

Steiners fließende Figuren suchen den Tanz zu veredeln und zu vergeistigen. Der Eurythmist soll mit seinem Körper die Kräfte der Welt, ihren Rhythmus und ihr Wesen darstellen. Die Arme sind das Instrument, die Bewegung ist das Kunstwerk. Geschöpfe haben ein inneres, seelisches Wesen, das eurythmisiert, mit dem sich bewegenden menschlichen Körper sichtbar gemacht werden soll. Alle Kunst sei Offenbarung verborgener Naturgesetze. Das sagt Rudolf Steiner in Anlehnung an Goethe.

Eurythmisten glauben an die Aura von Menschen, Dingen oder Ideen. Wer diese Aura tanzend findet, der erfahre auch einen Einklang mit der Welt, so die Anthroposophie. Die Harmonie der eurythmischen Bewegungen gleiche Spannungen des Körpers und der Körpersäfte aus. Die Heileurythmie als Bewegungstherapie verfolgt das Ziel, die Gesundheit zu fördern. In der Lauteurythmie werden Geschichten und Gedichte in künstlerische Bewegungen umgesetzt, die Toneurythmie orientiert sich an den Klängen und Melodien der Musik. An acht Stätten in Deutschland kann man Eurythmie studieren. Weltweit gibt es 27 Schulen.

Eurythmisten beachten eine bestimmte Kleiderordnung: Wallende Schleier, die die Aura sichtbar machen sollen, weite Eurythmiekittel, in denen der Tänzer beweglich bleibt und die während der Aufführung mitschwingen, sowie Eurythmieschuhe für die geschobenen Schritte und die vielen Streckbewegungen.

Ihr Zentrum hat die anthroposophische Welt in Dornach. Dort ist der Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft, dort steht das nach den Entwürfen Steiners gebaute Goetheanum. In Dornach treffen sich Eurythmisten, Sprachgestalter und andere anthroposophisch orientierte Kunstrichtungen zu Tagungen und Festivals. JUDITH LUIG