: Was säurebildend ist, schadet der Stimme
80 Nachwuchs-Musiker aus ganz Deutschland sind nach Celle gekommen, in ein Veranstaltungszentrum, das den hoffnungsvollen Namen CD Kaserne trägt. Dort wollen sie von Profis lernen, wie es zugeht im Musikgeschäft. Übernachtet wird auf Feldbetten im großen Schlafsaal
AUS CELLE LUKAS SANDER
Einer hat verpennt. „Wir haben ein bisschen gefeiert“, sagt Patrick. Der 23-jährige Hamburger pellt sich aus dem Schlafsack. Mit seiner Band macht er mit beim Musiker Camp in Celle. Die Kumpel sind schon in einem der Workshops: Arrangement, PR, Booking oder Bühnenpräsenz. „Das ist hier eine große Familie – alles Gleichgesinnte“, beschwört Sänger Paul, 18, aus Uelzen die Musikersolidarität. Im Camp gebe es kein Gegeneinander eitler Möchtegern-Stars.
Aus einem der Musikräume dröhnt der Bass der „Ballerinas“ aus Berlin. Die Mädchenband will hoch hinaus: Sie will von der Musik irgendwann einmal leben können. Musikproduzent Fabio Trentini ist einer der Dozenten. Er nimmt das Spiel der Band auseinander, analysiert die Instrumente. „Wenn der Drummer immer die gleichen Becken spielt, geht das irgendwann auf die Nerven“, sagt Trentini und doziert über Klangfrequenzen. Schlagzeugerin Lucia soll im Refrain vom Hi-Hat mal aufs Crashbecken gehen, schlägt der Coach vor: „Dann würdest du mehr rocken!“
Eine Woche dauert das Intensiv-Training für die 80 Jungmusiker. Der Zeitplan ist streng durchgetaktet, Frühstück ist um acht, Mittagessen um eins. Jan-Peter Klöpfel sitzt normalerweise im Hamburger „Medienbunker“ und macht aufwendige Klassik-Arrangements, zuletzt für die Filmmusik von „Der Baader-Meinhoff-Komplex“. Heute kümmert er sich um die Band „Wunderland“ – die Jungs sind Anfang 20 und wollen hoch hinaus. „Ich will den Leuten etwas sagen“, schwärmt Sänger Florian, 22, nachdem die Gruppe eines seiner Liebeslieder angespielt hat. Aber es fällt dem jungen Mann schwer, seine Botschaft zu transportieren, und hier setzt Coach Klöpfel an. Viele Musiker seien es nicht gewohnt, sich die Frage zu stellen, warum und für wen sie Musik machten. „Allein mit dieser Frage haben wir bei manchen schon große Dinge bewegen können, dass die plötzlich eine ganz andere Ausstrahlung hatten.“
Die Teilnehmer in Celle sind ein bunter Haufen, die Ältesten sind 30, die Jüngsten 15 Jahre alt. Einige haben schon Plattenverträge, andere gibt es als Band erst seit einigen Wochen. Camp-Organisator Kai Thomsen von der CD-Kaserne glaubt, dass dies die ideale Mischung sei, um sich künstlerisch zu befruchten. Celle sei mittlerweile eine feste Größe in der bundesweiten Nachwuchs-Förderbranche. Vergleichbare Projekte gebe es nur in Hamburg, Stuttgart, München oder Mannheim.
Und aus diesen Orten kommen auch die meisten Dozenten des Celler Camps. Kosho, Gitarrist bei den Söhnen Mannheims und Dozent an der Popakademie Baden-Württemberg, sieht in dem Camp eine einzigartige Möglichkeit für junge Musiker, zusammenzukommen und Netzwerke aufzubauen. Er selbst hat in den 70er Jahren mit der Musik angefangen und stand völlig allein da. „Ich war mit meiner Schulband Underground“, sagt der 46jährige. „Wir wurden von unserem Schulrektor geduldet, nicht unterstützt.“
Über mangelnde Unterstützung kann sich das Musiker Camp in Celle nicht beklagen. 16.500 Euro gibt das Land Niedersachsen, 5.000 kommen von Sponsoren. „Auch die Stadt Celle hat davon etwas“, sagt Organisator Thomsen. Sie kommt in den Ruf, eine Musikförderstadt zu sein, und es gibt viele Hotelübernachtungen – nicht alle Teilnehmer des Camps übernachten im Schlafsaal der Kaserne.
Anders als den Karriere-Junkies von Dieter Bohlens Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ geht es den Musikern in Celle vor allem darum, gute Musik zu machen. „Am meisten hapert es bei Rhythmik und Dynamik“, sagt Dozent Kosho. Meist sei ein Instrument zu laut und keiner merke was. Die Gesangslehrerin DAN will den jungen Musikern zur nötigen Bühnenpräsenz verhelfen: „Wer anfängt, ist unsicher und weiß noch nicht richtig, wofür er steht.“ Die 15-jährige Selina aus dem hessischen Wetzlar hat eine schöne Stimme – aber hält sich zu stark zurück. „Du musst gegen die Gitarre an“, schärft DAN dem Mädchen ein.
Die Zukunft im darniederliegenden Musikgeschäft ist für die Rock- und Pop-Anwärter ungewiss, doch Profis wie Kosho sehen trotz aller Unkenrufe gute Chancen für den Nachwuchs. Der könne dank digitaler Technik unabhängig von Labels seine „Produkte“ herstellen. Und auch rechtlich sei der Musikmarkt überschaubarer geworden. „Es gibt viel mehr Informationen, weniger Insider-Wissen“, meint der 46-Jährige. Er selbst habe das erst lernen müssen: „Das ging bis zum Offenbarungseid.“
In DANs Vocal-Workshop stellt eine Teilnehmerin die berechtigte Frage, wie das denn so mit Singen und Alkohol sei. „Alles, was säurebildend ist, schadet der Stimme“, antwortet die Trainerin. Wahrscheinlich hatte die junge Fragenstellerin schon die abendliche Party im Hinterkopf. Karriere ist eben doch nicht alles.