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Archiv-Artikel

In der Hölle angekommen

Klaus Toppmöller muss nach Leverkusens siebter Heimniederlage abtreten und Amateurtrainer Thomas Hörster Platz machen. Der Rauswurf ist Folge der um sich greifenden Hilflosigkeit im Verein

Reiner Calmund: „Das Abstiegsgespenst sitzt zu Hause in meinem Wohnzimmer“

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Es hat fast 20 Stunden gedauert, bis die entscheidungsschwachen Verantwortlichen bei Bayer Leverkusen die Nibelungentreue zu Klaus Toppmöller (51) beendeten. „Wir bedauern die Entscheidung“, sagte Bayer-Geschäftsführer Reiner Calmund gestern Mittag, „doch in unserer prekären Situation blieb uns keine andere Wahl.“ Krisenclub Leverkusen hat seinen Toppi, zuletzt noch Trainer des Jahres, entlassen. Toppmöller, der „anständige Kerl“ (Calmund), erhält 1,25 Millionen Euro Abfindung.

Vorläufig wird Amateur-Coach Thomas Hörster (46) die Mannschaft übernehmen, er betreut das Team auch am Dienstag im Champions-League-Match gegen Newcastle, ein Spiel, dessen Ergebnis, so Calmund, „völlig zweitrangig ist“. Calmund lobte Hörster als „guten Taktiker und erstklassigen Trainer“.

Toppmöllers Rauswurf, der gestern wie eine geschäftsmäßige Routinetat wirkte, war am Samstag nach dem 1:2 gegen Hansa Rostock noch abgelehnt worden. Calmund, der Macher, war zwar „emotionell aufgewühlt“ und sah „den Absturz“ gekommen. Die Frage der Entlassung wolle er aber überschlafen. In der Nacht hatte Calmund ein einschneidendes Erlebnis: „Das Abstiegsgespenst sitzt zu Hause in meinem Wohnzimmer. Und wenn ich abends das Licht ausknipse, liegt es schon unter meiner Decke.“ Plötzlich war Eile geboten: „Die Uhr hat zwölf geschlagen, wir konnten keine Sekunde mehr warten.“

Noch zur Pause des Rostock-Spiels hatte es so ausgesehen, als stünde der erste Trainerwechsel in einer Halbzeit an. Heftig gestikulierend und kopfschüttelnd saß die Führungsmannschaft um Calmund auf der Tribüne, der Beobachter glaubte, jetzt werde der Manager entweder gleich platzen oder herzbedingt ausgewechselt. Dann hatte er sich mit Pudelmütze und dem schwarzen Riesenmantel wieder zugemümmelt und in die innere Emigration zurückgezogen.

Das Spiel: Es war, wieder einmal, eine Offenbarung der Hilflosigkeit. Der Auftritt gegen Hansa war leidenschaftslos, lethargisch, linkisch. Eine Ruine von Fußballmannschaft kämpfte mit sich selbst, spielerisch erbärmlich, ohne Power und Willen, konteranfällig, verunsichert, nervenblank. Toppmöller („das wichtigste Spiel meiner Karriere“) verlor auch sein persönliches Finale. Es ist ein Gesetz: Bei wichtigen Spielen bleibt Bayer grundsätzlich zweiter Sieger.

Ein leeres Stadion hätte mehr Unterstützung geboten: Die Mürrischen von Leverkusen pfiffen die eigenen Leute aus; Berbatow schon nach drei Minuten und Carsten Ramelow nach seinem Furcht erregenden Fehler bei jeder Ballberührung.

Klaus Toppmöller war schon lange mit seinem Latein am Ende gewesen. Gegen Rostock nahm er seinen verhöhnten Kapitän Ramelow aus sozialhygienischen Gründen zusammen mit Berbatow zur Halbzeit vom Platz – und brachte mit Kleine und Amateur Schoof zwei Nachwuchsleute, die ähnlich dilettierten.

Toppmöller sagte nachher tonlos: „Wir sind fast in der Hölle angelangt.“ Viele Gründe haben sich bei Bayer zu einer fatalen Abwärtsspirale zusammengefügt: Was die Abgänge Ballack und Zè Roberto für die Elf bedeuteten, zeigte sich erst, als sie weg waren. Nowotnys Dauerverletzung riss eine unfüllbare Dauerlücke, andere Ausfälle (Lucio) kamen hinzu. Das alte Personal findet sich in neuer Situation nicht zurecht, weil sie noch lange besoffen scheinen von vergangenen Taten. Leute wie Zivkovic, Berbatow, Brdaric und Sebescen sind brauchbare Mitläufer, aber keine Mitreißer. Neuville hat seine Form komplett verloren, am Samstag war seine Vorstellung Mitleid erregend.

Die Zukäufe erwiesen sich reihenweise als Flops. Jan Simak, den Luftikus, hat auch Toppmöller nicht bändigen können und ihn dümmlich als Pflegefall tituliert. Der Brasilianer França, Toppmöllers Wunschspieler für 8 Millionen Euro, stolpert sich durch die Strafräume, dass man Angst um den Rasen hat. Balitsch, Preuß, Bierofka hätten in einem funktionierenden Team gute Chancen gehabt. So sind sie Vollstreckungsgehilfen des Niedergangs. Der gesamte Club scheint die Situation immer noch nicht begriffen zu haben. „Keiner nimmt hier das Wort Abstieg in den Mund“, verkündete Physiotherapeut Dieter Trzolek vor dem Rostock-Spiel. Erfahrungsgemäß sind es solche Teams, die sich am Ende in Liga zwei wiederfinden. Gegen Hansa hat keiner eine gelbe Karte bekommen.

Calmund, Manager seit 1989 mit der gut gespielten Aura des Gutmenschen, ist mittlerweile selbst in die Kritik geraten. Der Kölner Stadt-Anzeiger schlagzeilte neulich: „Volkstümlich zum Misserfolg“. Einen eigenen Rücktritt lehnte er gestern ab: „Das kommt null Komma null, null, null nicht in Frage. Ich werde die Ärmel hochkrempeln und das Schiff nach vorne bringen.“