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Archiv-Artikel

nebensachen aus bukarest Der Kampf für die private Gastherme als revolutionärer Akt der Zivilgesellschaft

Erst abkoppeln, dann heizen und heiß baden

Zwischen den Neubauten im Viertel sieht es aus wie auf Island. Aus dem Erdreich steigen Dampfschwaden, in einigen Vorgärten blubbern kleine heiße Quellen vor sich hin. Niemand erinnert sich, wann das angefangen hat. Unter dem Diktator, Gott sei ihm gnädig, ignorierten die Behörden den Sachverhalt. Als er nicht verschwand, erklärten sie ihn mit außerordentlichen geothermischen Aktivitäten. Nachdem Er gestürzt war, gab das Heizungskombinat zu, dass das Leitungssystem des Thermopunkts schuld sei.

 Im Thermopunkt wird das Wasser für die Bewohner erhitzt. Ungefähr die Hälfte des heißen Wassers für Badezimmer und Heizungen versickert in der Erde. Wie bei allen 700 Thermopunkten in der Hauptstadt. Das hat kürzlich die jährliche Analyse zur Feststellung der Verluste im nationalen Heizungssystem ergeben. Auch die Isolierungen sind völlig verrottet. Im Viertel ein heißes Bad zu nehmen, ist daher nicht möglich. Die Temperatur in den Wohnungen beträgt um die 16 Grad. Im Thermopunkt ist es aber gemütlich warm. Manche seiner Angestellten leben gefährlich. Wie der Mann, der bei den Bewohnern prüft, ob die Anzahl der Rippen an den Heizkörpern noch dieselbe ist. Diese Anzahl spielt eine bestimmte Rolle in einer bestimmten Formel, mit der der individuelle Heizwärmeverbrauch kalkuliert wird.

 Letzten Herbst schubsten Bewohnern oberer Stockwerke den Mann die Treppe herunter, denn wegen des geringen Leitungsdrucks kommt bei ihnen fast kein Wasser mehr an. Dieses wäre akzeptabel, wenn nicht die Preise ständig stiegen. Heizung und Warmwasser kosten monatlich ein Durchschnittsgehalt. Wegen der Preise wollen sich einige Bewohner abkoppeln. Abkopplung! Rohre vom Thermopunkt versiegeln lassen! Eigene Mikrozentrale einbauen!

 Seitdem Boulevardblätter vor drei Jahren den Gedanken an Abkopplung und Mikrozentralen, also private Gasthermen, ins öffentliche Unterbewusstsein pflanzten, wurde er zur materiellen Gewalt. Ganze Städte und Landstriche in der Provinz haben sich abgekoppelt. Die Behörden bezeichneten es als „Phänomen“ und nahmen es zur Kenntnis. Vorlaute Intellektuelle wollten im Abkopplungsrausch die größte zivilgesellschaftliche Aktion seit dem Sturz des Bedauernswerten erkennen.

 Seit das Phänomen jedoch auf die Hauptstadt zurollt, hat die Regierung ihre Liebe zum maroden nationalen Heizungssystem entdeckt. Sie ist voller komplizierter, schmerzhafter und tiefer Verstrickungen. Eine große Studie des Verwaltungsministeriums hat bewiesen, dass Mikrozentralen zu „Situationen der Ungleichheit“ zwischen Abgekoppelten und Angeschlossenen führen. Einige Thermopunkte kassieren riesige Abkopplungssteuern, andere verlangen von Abkopplungswilligen beglaubigte Einverständniserklärungen der Nachbarn. Der Forschungsminister will die Heizzentralen zwecks Kostensenkung künftig mit alten russischen Flugzeugmotoren betreiben. Vom Direktor des Thermopunkts im Viertel stammt ein weiser Kompromissvorschlag. Wer sich abkoppeln lassen will, darf dies tun. Aber nur auf der Hälfte der Wohnfläche. Die dürfen die Betreffenden selbst auswählen. KENO VERSECK