: Karges Leben in ständiger Sorge
Sieben Jahre arbeitete ein Serbe ohne Aufenthaltsstatus bei einem niedersächsischen Metallbetrieb. Große Teile des ihm zustehenden Lohnes enthielt man ihm vor – jetzt klagt er mit Hilfe der Gewerkschaft Ver.di fast 50.000 Euro Nachzahlung ein
Anfang Mai hat die Anlaufstelle für Papierlose der Gewerkschaft Ver.di – „Migration und Arbeit“ (MigrAr) – in Hamburg ihre Arbeit aufgenommen. Seitdem konnte das Modellprojekt erste Erfolge verbuchen. So wurde gerade durchgesetzt, dass ein Zimmermädchen aus Togo die Differenz zwischen erhaltenem Lohn und Tarif nachbezahlt bekommt. Die Betreiber eines Hotels im Stadtteil St. Pauli hatten der Frau für das Putzen eines Zimmers zwischen 50 Cent und 1,70 Euro gezahlt – der Tarifvertrag Reinigungswesen sieht einen Stundenlohn von 8,20 Euro vor. Für Aufsehen sorgte der Fall Ana S.: Die Chilenin war als Au-Pair-Mädchen nach Hamburg gekommen und hatte anschließend drei Jahre als Haushaltshilfe bei der Familie weitergearbeitet – schwarz. Weil sie dafür nur ein Taschengeld erhalten hatte, klagte S. vor dem Arbeitsgericht auf Lohnnachzahlung. Im Mediationsverfahren wurde ein finanzieller Ausgleich vereinbart. KVA
VON KAI VON APPEN
Zoban Pantelic (Name geändert) verlangt sein Recht. Dabei wusste er bis vor kurzem nicht einmal, dass es Möglichkeiten gibt, dieses Recht auch durchzusetzen. Nun aber ist der Serbe bei der neuen Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere der Gewerkschaft Ver.di in Hamburg vorstellig geworden. „Wir werden beim Arbeitsgericht Klage gegen die Firma auf Zahlung des vorenthaltenen Lohns einreichen“, sagt die dortige Projektleiterin Emilija Mitrovic – es geht um fast 50.000 Euro.
Pantelic hat die typische Biografie eines „Illegalisierten“: 2001 war er mit wenig Habseligkeiten per Zug und ohne Aufenthaltsstatus nach Hamburg gekommen. „Serbiens Wirtschaft war kaputt“, sagt er. Ein lukratives Opfer für moderne Sklavenhändler: Pantelic heuerte schwarz bei einer Leiharbeitsfirma an, die ihn als Schlosser und Schweißer in eine kleine Metallfirma ins niedersächsischen Bispingen vermittelte. Als die Leiharbeitsfirma verkauft wurde, wurde Pantelic von dem Metallbetrieb übernommen. Pantelic will mit Firmeninhaber Ingo H. einen Stundenlohn von 7,50 Euro vereinbart haben. Er arbeitete fortan 13 bis 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Er wohnte in einer kleinen Wohnung direkt neben der Firma und erhielt einen Schlüssel, um morgens den Betrieb auf- und abends wieder abzuschließen. „Ohne Aufenthaltsstatuts konnte ich ja nicht viel anderes unternehmen als arbeiten“, erinnert sich Pantelic. Lohn habe er nur Abschlagsweise bekommen – „mal 1.000 Euro, mal 500 Euro im Monat“.
Immer wenn er nachgefragt habe, wann er den Rest Geld bekäme, erzählt Pantelic, habe er keine Antwort bekommen. Gedrängt habe er allerdings auch nicht. „Ich habe nicht so oft nachgefragt“, so Pantelic, weil er gehofft habe, dass Ingo H. „mir wirklich Papiere verschafft“. Also wartet er ab, kriegte „ja jeden Monat etwas Geld“, und selbst davon konnte er bei seiner kargen Lebensweise immerhin noch etwas nach Hause schicken, an die Familie. „Meine Tochter studiert in Belgrad“, sagt er, „ihr Zimmer kostet jeden Monat 300 Euro.“ In Serbien hätte er bestenfalls 150 Euro verdient. „Ich möchte auch meiner anderen Tochter das Studieren ermöglichen.“
Seine Kollegen hätten nicht gewusst, dass er schwarz arbeitete, sagt Pantelic, lediglich seine albanischen Nachbarn – doch die hätten geschwiegen. Als Pantelic einen schweren Arbeitsunfall hatte, sich ein Bohrer in seine Hand bohrte und dabei ein Finger gebrochen sei, habe sein Chef aus Furcht, dass die Schwarzarbeit auffliegt, keinen Arzt geholt. Pantelic „musste das allein auskurieren, so dass sich der Finger heute nicht mehr richtig bewegen lässt“, erzählt er. Dass ein Recht auf medizinische Versorgung hatte, sei ihm nicht bekannt gewesen. „Die Angst vor Abschiebung war größer“, sagt der 46-Jährige heute. „Ich wäre früher nie zur Polizei gegangen.“
Inzwischen ist Pantelic schlauer. „Sieben Jahre lang habe ich meine Familie nicht sehen können“, sagt er. „Mein Ziel war es doch, den Aufenthalt geregelt zu bekommen und meine Familie ernähren zu können.“ Doch er sei nur ausgenutzt und „physisch und psychisch beschädigt“ worden, habe Magengeschwüre und Kreislaufprobleme bekommen.
Von der Ver.di-Beratungsstelle für Papierlose hörte er erst, nachdem er wegen eines erneuten Streits um Geld im Juli dieses Jahres entlassen worden und nach Serbien zurückgekehrt war. Die Gewerkschaft hat inzwischen schriftlich Lohnausstände in Höhe von 49.720 Euro gegen die Bispinger Firma geltend gemacht. Diese ließ per Anwalt erklären, dass „kein Arbeitsverhältnis“ vorgelegen habe – schon gar keine Vereinbarung über irgendeinen Stundenlohn. Ein Vertragsverhältnis habe ausschließlich mit der Leiharbeitsfirma bestanden und Pantelic wohl aus jener Zeit noch Stechkarten behalten.
Firmeninhaber Ingo H. habe lediglich „geduldet“, heißt es in dem Brief weiter, dass Pantelic sich auf dem Firmengelände aufhalte, „weil er tagsüber häufig einfach nicht wusste, wo er hinsollte“. Davor steht der dezente und – insbesondere für Illegalisierte – einschüchternde Hinweis, dass Pantelic „keine Aufenthaltserlaubnis“ besitze. Ingo H. wollte auf taz-Anfrage keine weitere Stellungnahme abgeben: „Ich kann dazu nichts sagen, mein Anwalt hat Ver.di einen Brief geschrieben.“
Für Gewerkschaftsfrau Mitriovic ist H.s Verhalten an Zynismus nicht zu überbieten. „Nicht nur, dass Behörden Duldungen aussprechen“, sagt sie, „jetzt sprechen auch noch Arbeitgeber Duldungen aus.“ Geht der Fall erst vor das Arbeitsgericht, rechnet Mitrovic sich gute Chancen aus, Pantelic’ Ansprüche durchzusetzen.