: Den ständigen Dialog angemahnt
Die EU-Neulinge suchen die Nähe zu den USA mehr als die europäische Einmütigkeit und fordern selbstbewusst, gefragt zu werden. Das „alte Europa“ scheint auf den Konflikt seltsam schlecht vorbereitet gewesen zu sein
BRÜSSEL taz Eins hat der französische Präsident Jacques Chirac mit seiner Standpauke jedenfalls erreicht: Das Treffen der dreizehn Kandidatenländer mit EU-Ratspräsident Kostas Simitis wurde plötzlich zum Medienereignis. Normalerweise nimmt die Presse wenig Anteil, wenn am Tag nach einem EU-Gipfel die Neulinge über die Ergebnisse informiert werden.
Das müsse sich in Zukunft ändern, erklärten die Gäste am Ende des Treffens selbstbewusst. Das Europa der 25 werde viel komplexer sein. Deshalb müssten sich die Mitgliedsländer angewöhnen, mit den Neuen im ständigen Dialog zu bleiben, mahnte Ungarns Premier Péter Medgyessy. „Unsere Diskussion war keine Formsache“, betonte der polnische Außenminister Cimoszewicz. „Wir haben uns ausdrücklich den Schlussfolgerungen des Gipfels angeschlossen.“ Besonders der Teil, in dem die enge Zusammenarbeit mit den USA herausgestellt werde, sei für Polen wichtig.
Um die Frage zu klären, wer nach dem Eklat der vergangenen Nacht überhaupt noch nach Brüssel reisen würde, drängten sich die Journalisten schon morgens vor dem VIP-Eingang des Ratsgebäudes. Polen hatte in einer ersten verärgerten Reaktion angekündigt, die erlittene Schmach dadurch zu kontern, dass statt des Ministerpräsidenten nur der EU-Botschafter erscheint. Angereist ist dann immerhin doch noch der Außenminister.
Die Gäste schienen sich verabredet zu haben, Chiracs Entgleisung in Brüssel möglichst nicht anzusprechen. Seine gute Erziehung verbiete ihm, auf die Provokation zu antworten, sagte Ungarns Premier. Auf beiden Seiten des Atlantik habe es in den vergangenen Wochen zu viele starke Worte gegeben, sagte Cimoszewicz. „Gefühle sind in der Politik kein guter Ratgeber.“
Schärfere Töne kamen dagegen aus den Hauptstädten der Kandidatenländer. Der stellvertretende polnische Außenminister Adam Rotfeld sagte, Chiracs Kommentare seien „verletzend und unnötig“ gewesen. Für seine herablassende Haltung, die Neuen müssten froh sein, wenn sie überhaupt beitreten dürften, gebe es keine Grundlage. Bulgariens stellvertretender Außenminister Lubomir Iwanow erinnerte daran, dass sein Land derzeit als Sicherheitsratsmitglied die UN-Beschlüsse beeinflussen kann. „Das ist kein produktiver Ansatz, um im Sicherheitsrat zur Einheit zu finden“, kommentierte er den Rüffel aus Frankreich.
Der irische EU-Parlamentspräsident Pat Cox, der ebenfalls zu dem Treffen eingeladen war, warnte vor einer Spaltung zwischen Kandidatenländern und EU-Mitgliedern oder einer Spaltung zwischen Europäischer Union und Amerika. Lediglich Romano Prodi, der Präsident der EU-Kommission, unterstützte Chiracs Position, wenn auch mit deutlich leiseren Tönen. „Ich bin unendlich traurig“, verriet er den Journalisten zum wiederholten Mal. Die EU sei nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern ein tief gehender politischer Verband. „Ich bin bekümmert, dass die Kandidatenländer nicht erkannt haben, was ein Beitritt zur Europäischen Union wirklich bedeutet.“
Die „Minikrise“, wie Jacques Chirac sie nennt, die durch widersprüchliche Irak-Positionen in der EU entstanden ist, hat einen Konflikt nach oben gespült, der die erweiterte Union in den kommenden Jahren noch oft beschäftigen wird. Es ist nicht erstaunlich, dass den Osteuropäern angesichts ihrer historischen Erfahrungen der Schutz im Nato-Bündnis mehr am Herzen liegt als die europäische Wertegemeinschaft. Deshalb gefallen ihnen auch die USA-freundlichen Passagen in der Abschlusserklärung besonders gut. Erstaunlich ist eher, dass das „alte Europa“ auf diesen Interessengegensatz nicht vorbereitet ist.
DANIELA WEINGÄRTNER