: Den Umfaller erforschen
Früher war sie ein rotes Tuch für die Gewerkschaften. Jetzt will Verdi untersuchen, wie sich die Samstagsarbeit auf die Betroffenen auswirkt. Objekt: das Bürgerservicezentrum in Mitte
taz ■ Über 80 Prozent der Angestellten in 17 Bremer Einzelhandelsbetrieben sind gegen verlängerte Ladenöffnungszeiten am Samstag. So das Ergebnis einer Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi – vom Frühjahr 2001. Samstagsarbeit wurde damals von der Gewerkschaft noch regelrecht verteufelt – die Verdianer drohten mit Gegenmaßnahmen bis hin zum Streik. Die Angestellten bräuchten den Samstagnachmittag dringend für die Familie. Der Aufruhr hatte seinen Grund: Schließlich hatten die Gewerkschaften Jahrzehnte für den freien Sonnabend gestritten.
Gestern nun stellte Verdi ein Forschungsprojekt vor, das die Öffnungszeiten im Bürgerservicezentrum (BSC) in der Pelzer Straße untersuchen soll: wochentags von 7.30 bis 18.30 Uhr – und natürlich auch samstags von 9 bis 13 Uhr. „Das ist schon revolutionär“, erklärt Verdi-Pressesprecher Lutz Kokemüller den Umfaller, den Personalrat samt Gewerkschaft im vergangenen Jahr bei den Verhandlungen mit dem Innenressort vollzogen. Aber: „Unsere Gesellschaft verändert sich.“ Wenn dem Personal schon neue Arbeitszeiten zugemutet würden, müsse man das jedoch wenigstens „wissenschaftlich hinterlegen“.
Also können sich die Bremer jetzt quasi zu Ladenöffnungszeiten im BSC ummelden oder Anträge fürs Wohngeld einreichen. Betroffen davon sind rund 50 Mitarbeiter, zu 80 Prozent Frauen. Um zu prüfen, wie sich Samstagsarbeit und Schichtdienst auf die Betroffenen auswirken, hat die Abteilung Frauen bei Verdi das Projekt „Zeitfragen sind Streitfragen“ ins Leben gerufen. Untersucht werden: Ein Warenhaus von Galeria Kaufhof und das Klinikum Vivantis in Berlin sowie das Bremer BSC.
„Beschäftigte, Vorgesetzte und auch die Bürger sollen an einen Tisch geholt werden“, erklärt Beate Herzog von der ISA-Consult, einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, die das Projekt mit dem Arbeitsrechtler Ulrich Mückenberger von der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik im Auftrag von Verdi durchführt. Insgesamt soll die Untersuchung zwei Jahre dauern. Erste Ergebnisse liegen bereits vor. Herzog: „Die Grundstimmung bei den Angestellten ist gut.“ Es gebe viel positive Rückmeldungen von den BSC-Besuchern.
Das Innenressort mischt und zahlt mit – schließlich soll die Untersuchung auch herausfinden, ob die langen Öffnungszeiten und das BSC-Konzept „Alles aus einer Hand“ überhaupt akzeptiert werden. Bislang ist alles nur ein Modell.
Immerhin haben sich die Mitarbeiter aus anderen Behörden freiwillig für das BSC anmelden können, die Dienstpläne müssen abgestimmt werden, die Personaldecke ist relativ dick. „Das darf aber nicht still und heimlich zurückgefahren werden“, warnt Gewerkschafter Kokemüller. Er will gehört haben, dass aus den bislang 17 Ortsämtern in Bremen fünf BSCs werden sollen.
Kai Schöneberg