: Tapetenwechsel für den Kiez
Zwei Jungunternehmer wollen den hässlichsten Betonfrosch Kreuzbergs endlich wachküssen. Ihre Idee: Das „Kaufhaus Keuzberg“ – eine Markthalle für schrille Produkte. Sie soll junges und trendiges Publikum wieder ans Kottbusser Tor locken
von HENNING KRAUDZUN
Manchmal scheint es, als würde in dieser Stadt ein Mantel der Resignation selbst hoffnungsvolle Ideen ersticken. Motivierte Querdenker und Durchstarter sind in der wirtschaftlichen Baisse schlichtweg untergetaucht. Wer die eigene Existenz aufbauen will, schnappt nach Luft und den letzten Krediten. Bestes Beispiel für einen kaum reparablen Stillstand des Ideenmotors: das Kottbusser Tor.
In jeder Sozialstudie gilt der Betonriegel als Beispiel für gesellschaftliche Erosion, jede Architekturkritik erklärt die überdimensionierten Schlafpaläste zum städtebaulichen Super-GAU. Im Zentrum Kreuzberg, dem ursprünglich als urbaner Marktplatz konzipierten Ensemble, war zuletzt nicht einmal mit Ramsch ein Euro zu machen. Das als protziges Eingangstor zum Multikulti-Viertel gedachte Einkaufszentrum wurde zur wirtschaftlichen No-go-Area.
Auf der Brache wollen zwei Jungunternehmer jetzt ein Soho im Miniaturformat ansiedeln und einen ehemaligen Möbelmarkt zum Szenekaufhaus machen. Weil in Berlin das Shoppen in angesagten Läden immer mehr die touristischen Routen bestimmt, sollen sich im Kaufhaus Kreuzberg junge Designer und Gewerbetreibende einmieten, ab 140 Euro ist ein Shop zu haben. Bis zu 50 Geschäfte sind dann wie in einer Markthalle auf 1.200 Quadratmetern konzentriert. So weit die Idee.
Das ehrgeizige Vorhaben ließe jeden Quartiersmanager jubilieren. Denn es existieren Vorbilder in Europa, etwa das „Affleck Pallace“ in Manchester, wo seit Jahrzehnten genau dieses Konzept reibungslos funktioniert. In Berlin könnte innerhalb kürzester Zeit ein Mikrokosmos aus seinen Problemen herausgehebelt werden und bekäme ein völlig neues Image verpasst – so als würde man aus einer Fixerstube einen Bogner-Shop machen. Das Zielpublikum soll international, jung und trendorientiert sein. Kreuzberg wäre wieder ein Touristenmagnet.
Wolfgang Maack und Richard Stein, so heißen die beiden Jungunternehmer, glauben an diese Utopie. Zum einen, weil sie ihren Kiez genau kennen, nachdem sie jahrelang die Schaltstellen im SO 36 besetzten. Andererseits ist die Investitionssumme von 200.000 Euro überschaubar, das Projekt erfährt Unterstützung von allen Seiten. „Selbst in den Behörden haben wir leuchtende Augen gesehen“, sagt Stein. Das Kaufhaus läge absolut zentral, über 60.000 Menschen nutzen täglich das Kottbusser Tor als Umsteigebahnhof.
Die Idee fasziniert nicht nur die Macher. Das Konzept gewann mühelos den aktuellen Existenzgründerwettbewerb im Bezirk. „In vier Wochen mussten wir uns dafür einen Businessplan abringen, danach stand das Grundgerüst“, sagt Stein. Kurz darauf meldeten sich die ersten Interessenten, inzwischen könnte bereits jede Standfläche vergeben sein. Doch die Betreiber warten auf mehr Konzepte, sie wollen die besten auswählen. Sie können sich viel vorstellen. Vom Recycle-Design bis zum modernen Kristallglas, von Comicheften bis zu Fingerpuppen ist alles möglich, was das Prädikat schrill und trendy verdient. Aber die Mischung soll stimmen. Im März gibt es die ersten Auswahlgespräche.
Fest steht: Ein Biergarten auf der 500 Quadratmeter großen Dachterrasse soll zuerst eröffnen, neben Frischgezapftem soll es dort Kulturevents geben. Der erste Abend ist schon verplant: „Wir wollen von oben endlich mal wieder den Kotti mit Punk beschallen“, sagt Stein. Im Kaufhaus macht im Sommer ein Café auf, wo die Kuchenstücke nur nach Gewicht berechnet werden. „Die Gastronomie ist ein Eckpfeiler der Finanzierung“, sagt Uschi Schröder, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert.
Das funktioniert bereits ideal im „Möbel-Olfe“, der trashigen Übergangslösung in der Dresdener Straße. In der modernen Trinkhalle trifft sich schon jetzt ein bunt gemischtes Publikum, das bald durch das Kaufhaus flanieren soll. Nackte Betonwände und Messing-Kronleuchter an der Decke, dazu ein massiver Tresen aus Furnierholz sorgen für Kontraste, die selbst für Szeneaugen ungewöhnlich sind. „Die Leute aus der Nachbarschaft brachten einfach ihren Trödel vorbei“, sagt Stein.
Beispielhaft am Konzept und wirklich kreuzbergerisch ist das Kommuneprinzip. Jeder Mieter darf auf Versammlungen mitentscheiden und sich auch für den Laden nebenan verantwortlich fühlen. Synergieeffekt sollen kein hohler Begriff, sondern Maßgabe sein. Um Marketing, Versicherungen und viele Behördengänge muss sich kein Shopbesitzer kümmern, das übernehmen die beiden Kaufhausbetreiber. „Damit sind Risiko und Aufwand gering, sich am Markt auszuprobieren“, sagt Stein.
Für innovative Ideen ist das Kaufhaus so etwas wie ein Schaufenster, um die kleine Hinterhofwerkstatt bekannt zu machen und die eigenen Arbeiten zu verkaufen. Aus Nebenverdiensten sollen möglichst Existenzgründungen werden, „wir haben sogar mehr Anfragen von Näherinnen, Schuhmacherinnen oder Druckerinnen als von deren männlichen Kollegen“, sagt Stein. Für Bonita Schmechel, die in unmittelbarer Nähe Taschen aus Lkw-Planen designt und verkauft, besäße ein Stand enorme Werbewirkung. „Dann würde ich von den Kunden anderer und die von meinen profitieren“, sagt sie. Mehr Zulauf hätte dann auch Ute Langkabel mit ihrer Galerie. Sie bietet Fotografien zu Dumpingpreisen an. „Eine Arbeit plus Espresso kostet nicht mehr als ein Essen im Restaurant“, versichert sie.
Noch sind diese Pläne aber leuchtende Zukunft. Mit dem Vermieter sind sich Stein und Maack zwar einig, aber die Zentrum Kreuzberg GmbH steht kurz vor der Insolvenz. Dadurch fehlt eine langfristige Sicherheit, vor allem wenn der nachfolgende Besitzer eine Aufwertung der Gegend für höhere Mieten nutzen würde. „Damit wir nicht erpressbar sind, bleibt die Einrichtung mobil und könnte jederzeit umziehen“, sagt Maack. Doch dann wäre auch die Idee begraben, den hässlichen Betonfrosch endlich wachzuküssen. Denn beide Betreiber glauben, dass ihr Trendkaufhaus nur am Kottbusser Tor funktionieren kann – und soll. Alles andere wäre ein weiterer Todesstoß für die wage Hoffnung in Kreuzbergs Mitte.
Heute Abend ab 18 Uhr wird die Ladenpassage am Zentrum Kreuzberg zur Kulturmeile. www.kaufhauskreuzberg.de