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Archiv-Artikel

Bleibt nur Zynismus im Kaminzimmer

Stavenow befindet sich seit jeher in einer Insellage. Nun wollen Bahn und Bund das Niemandsland verkehrspolitisch erschließen. Den Niedergang von Stavenow wird das kaum bremsen – trotzdem besinnen sich die Stavenower hartnäckig auf ihre Geschichte aus Rittern, Raubzügen und Stüler-Architektur

Seit Jahren kämpft sich der Verein mit seinen 135 Mitgliedern bei 67 Dorfeinwohnern durch die Denkmalschutz-Vorschriften

aus Stavenow Dirk Strobel

Ein Puff muss her. Ein großer Puff. Nur einer? Nein. Damit es sich so richtig lohnt, müsste sich schon ganz Stavenow dem horizontalen Gewerbe verpflichten. Ein Straßenstrich an brandenburgischer Allee? Keine halben Sachen: Ein ganzes Gewerbegebiet mit Sichtschutz soll es schon sein. Mit eigenem Autobahnausfahrt-Schild, bitte schön. Puff Karstädt soll draufstehen – in Anlehnung an die nahe gelegene Gemeinde.

Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist auch einer. Belustigt ob ihrer eigenen fatalistischen Bemerkungen prosten sich die Mitglieder des Dorfvereins „Historisches Stavenow“ im Kaminzimmer der 1356 erbauten Burg zu. Der Zynismus vor loderndem Kaminfeuer hat seine Gründe: Der Bund treibt seine Pläne für den Ausbau der Autobahn A14 von Magdeburg nach Schwerin voran. Tut sich zwischen Hannover, Hamburg und Berlin doch ein verkehrspolitisches Bermuda-Dreieck auf – kein Gebiet in Deutschland ist so wenig erschlossen wie die Prignitz. Und alle bisher veröffentlichten Trassenführungen liegen in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Gutsdorf. Mit der Ruhe wird es in der brandenburgischen Idylle dann vorbei sein.

Damit nicht genug: Zeitgleich baut die Deutsche Bahn die Strecke Hamburg-Berlin für den ICE aus. Nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt werden bald Hochgeschwindigkeitszüge mit Tempo 280 an Stavenow vorbeijagen. Zudem würde das Dorf laut der aktuellen Pläne der Luftwaffe in einer Einflugschneise für das umstrittene „Bombodrom“ in Wittstock liegen. Dem Engagement der Dörfler im Verein „Historisches Stavenow“ tut dies keinen Abbruch.

Eine schöne Ecke, die Prignitz. Im Biosphärenreservat Elbtalaue ruhen sich jeden Herbst Tausende Wildgänse und Kraniche für ihren Weg nach Süden aus. Das strahlende Wendland ist auch nicht weit entfernt. Dammwild, Rotwild oder Wildschweine schlagen sich in rauen Mengen durch das Unterholz. Im Sommer ist es heiß, sehr heiß und trocken. Unzählige kleine Wirbelstürme reißen den spröden Boden empor, bilden hohe Staubrüssel. Eine Region in Insellage: vor der Wende und Jahre später. Schon immer etwas schwach auf der Brust.

So schön und urwüchsig die Prignitz auch ist – die Arbeitslosenquote liegt bei über 20 Prozent. Nur drei weitere Landstriche in Brandenburg können mit mehr Erwerbslosen protzen. Jedes Jahr verlassen über 1.600 Menschen die Region an der Elbe – das sind 20 Dörfer von der Größe Stavenows. Zurück bleiben die Älteren und die Frührentner, deren Ausbildung häufig nicht mehr in die ökonomische Landschaft nach der Wiedervereinigung passt. Als wenn die Prignitz nicht sowieso schon als einer der am dünnsten besiedelten Flecken Europas gelten würde.

Das Jobwunder aufgrund einer unbedeutenden Autobahnausfahrt? Daran mag Burgherrin Okka de Wall, gleichzeitig Vorsitzende des Dorfvereins, nicht glauben. Nach mehreren langen Zwischenstationen in England und Irland ließ sie sich mit ihrem Lebensgefährten in Stavenow nieder und eröffnete ihr graues Burghotel. Okka de Wall ist die Triebfeder für kulturelle Veränderungen im Kleinen, nicht für infrastrukturelle Erwägungen, die im schlimmsten Fall kontraproduktiv auf die Entwicklung Stavenows wirken. Sie hat die Einwohner erst für die Geschichte ihres Dorfes sensibilisiert.

„Wie kann man den Menschen hier wirklich helfen?“, fragt sich die Burgherrin und zündet sich erst mal noch eine an. „Indem man ihnen Möglichkeiten bietet, die sie mit ihrer Ausbildung auch nutzen können.“ Gemeinsam mit dem Verein möchte sie eine Kooperative gründen und unter dem Label „Stavenow“ landwirtschaftliche Produkte aus der Prignitz verkaufen – in Hamburg, Berlin und über‘s Internet. „Im landwirtschaftlichen Bereich macht ihnen keiner was vor. Und so können sie hier bleiben und sich über Wasser halten. Und das Dorf damit auch.“ Sie würde auch ganz gut ins Wendland passen – in Brokdorf hat sie damals schon gegen das Kernkraftwerk aufgemuckt. Initiative ist gefragt. Denn es gibt etwas zu beschützen: Stavenows 750-jährige Geschichte aus Rittertum, Raubzügen und Stüler-Architektur.

Seit vier Jahren kämpft sich der Verein – insgesamt 135 Mitglieder bei 67 Dorfeinwohnern – durch Denkmalschutz-Vorschriften, Anträge und Diskussionen mit den behördlichen Stellen. Bei denen das historische Engagement übrigens positiv aufgenommen wurde. Allein das Geld fehlt. Eine Haushaltssperre des Landes Brandenburg machte die Pläne der Stavenower für 2003 zunichte – die zugesagten 50.000 Euro für die Dorferneuerung fehlen im Vereinssäckel.

Mit diesem Betrag soll der seit 1976 ungenutzte Friedhof reaktiviert und der Kirchturm im Ortskern – entworfen von Friedrich August Stüler, dem Hofarchitekten Friedrich Wilhelm IV. – saniert werden. Die Dorfbewohner möchten ihn später als Kapelle und Andachtsraum nutzen. Die Restaurierung der bis auf die Grundmauern zerstörten Abseite des Kirchenschiffs ist ebenfalls in Planung. In ihr liegen zwei Steinsarkophage aus dem 18. Jahrhundert. Die dazugehörigen Gebeine derer von Kleist lagern noch unsortiert im Kellergewölbe der Burg: In einem kleinen Metallbehälter, Aufschrift „The Hotel“, warten sie auf die Sanierung ihrer letzten Ruhestätte. Gemütlich. Aber dank Dorfverein nicht einsam.

Die Ruine der 1726 errichteten Patronatskirche steht im überschaubaren Ortskern – direkt hinter Relikten aus DDR-Zeiten: Einem Ensemble aus windschiefer, bunt bemalter Bushaltestelle, einer grauen Holzwand für Bekanntmachungen und Provinzpossen sowie dem Busfahrplan, der mit einer Zeile auskommt. Um 07.17 Uhr kann man wochentags Stavenow den Rücken kehren. Und nur dann. Wann der Bus zurückkommt steht nicht da.