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Archiv-Artikel

Starre und Stakkato

Stille bis zur Beunruhigung durchdekliniert: Antje Pfundtners Solotanzstück „eigenSinn“ auf Kampnagel lotet die Grenzen von Bewegung aus und spielt mit Geschmeidigkeit und Deformation

von KARIN LIEBE

Das Licht geht an, das Stück beginnt. Im gleißend hellen Ambiente aus weißem Bühnenboden, weißen Wänden, weißem Tisch und weißem Stuhl durchschreitet eine Frau barfuß den Raum. Ganz schlicht ist sie gekleidet: schwarze Hose, weiße Bluse. Sie schaut neugierig und offen ins Publikum, ein amüsiertes Lächeln in den Mundwinkeln.

Dieses Lächeln ist Programm für die nächsten 60 Minuten. Denn Antje Pfundtner lotet in ihrem Tanzsolo eigenSinn, das jetzt auf Kampnagel uraufgeführt wurde, mit ironischem Augenzwinkern das gesamte Bewegungsspektrum zwischen Starre und Stakkato aus. Die 1975 geborene Tänzerin und Choreografin spielt lustvoll mit allen Möglichkeiten des Tanzes, changiert zwischen theatralischen Phrasen aus dem klassischen Ballett und eigenwilligen Bewegungsexperimenten. Sie beweist dabei Mut zum Hässlichen und Mut zur Stille. Lange sitzt sie regungslos an dem weiß gestrichenen Tisch. Aber selbst in dieser vermeintlichen Starre ist ihr die innere Bewegung anzusehen, eine entspannte Aufmerksamkeit, die sich aufs Publikum überträgt. Die Stille ist trotz gelegentlicher Flugzeuggeräusche, trotz Hüstelns, Magenknurrens und Stühleruckelns aus dem Zuschauerraum hörbar.

Als man sich gerade fragt, warum die Tischplatte so dick ist und warum Antje Pfundtner eine Hand unter ihr verbirgt, zerreißt ein Knall die Stille. Hier wird nicht verraten, was passiert. Auf jeden Fall aber demonstriert Pfundtner nach den räumlichen auch die zeitlichen Facetten von Bewegung auf recht eigenwillige Weise – womit wir beim Thema wären: dem Eigensinn. Vom eigensinnigen Kind erzählt Pfundtner kleine Geschichten, während sie tanzt. Etwa das Märchen vom Kind, das noch im Grab eine Hand aus dem Sarg reckt. Oder die Geschichte vom eigensinnigen Kind, das sich als Baby nicht bewegen kann und nach einer physiotherapeutischen Behandlung überall anstößt, weil vergessen wurde, ihm das Anhalten beizubringen.

Dass Antje Pfundtner selbst einmal ein eigensinniges Kind war, ahnt man. Deutlich zu spüren ist ihre Lust an der Bewegung und dem Gesehenwerden. Auch mit der exhibitionistischen Lust des Tänzers spielt sie. Erst dreht sie sich routiniert in vertrauten Pirouetten, vielleicht einen Tick zu pathetisch, dann verbeugt sie sich und lächelt erwartungsvoll ins Publikum. Noch ein Tänzchen, noch eine Verbeugung, dann nur noch Verbeugungen, die immer schneller werden, bis die kurzen Haare mit dem langen Pony hoch zu Berge stehen.

Pfundtner beherrscht die klassischen wie die modernen Bewegungsmuster und kann lässig über sie hinwegschreiten. Aus fließenden Bewegungen werden stockende, manchmal scheint sie aus einzelnen Körperpartien gänzlich die Spannung herauszuziehen. So kombiniert sie akkurate Beinbewegungen mit einem schlaff herabhängenden Oberkörper. Dann wieder verharren Körperteile in der Starre, zieht sie ein Bein nach, legt sie die Hände auf den Rücken, als wären sie gefesselt. Aus schön wird schrecklich, aus geschmeidig wird hart.

Pfundtners Solo ist eine humorvolle Meditation über Bewegung, die auch Tabuthemen und Selbstironie nicht auslässt. Dass für einen Solotänzer Egozentrik und Autoerotik keine Fremdworte sind, demonstriert sie augenfällig. Wenn sie Luftgitarre spielt und die fiktiven Seiten immer näher an ihrem Körper, immer schneller zwischen ihren Beinen anschlägt und ihr Lächeln immer verzückter wird, wissen wir: Selbstbefriedigung ist die Krönung der Beschäftigung mit dem eigenen Körper.

weitere Vorstellungen: 22.+ 23.2., 20 Uhr, Kampnagel (k1)