Musik für den Frieden

Improvisation unter freiem Himmel: Jeden Sonntag treffen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft zum Musizieren am Münsteraner Hafen

„Hier fragt keiner, woher du kommst und wohin du gehst.“

VON NATALIE WIESMANN

Kalt und regnerisch ist es an diesem Dezemberabend am Münsteraner Hafen. Je näher man ans Wasser kommt, desto lauter werden die Trommelrhythmen, die an den gegenüberliegenden Industriegebäuden abprallen und Echos erzeugen. Am Fuße einer Säule, auf der eine kitschige goldene Taube thront, haben sich etwa 15 Menschen unterschiedlicher Herkunft versammelt. Wie jeden Sonntag sitzen sie auf provisorischen Bänken ums Feuer und trommeln auf Kongas, Djembes oder Bongos. In einem offenstehenden Akkordeon-Koffer klebt ein Plakat mit der Aufschrift „Das Boot – Musik für den Frieden“.

‚Das Boot‘ steht für die Gemeinschaft: „Unser Boot ist aber nie voll, da kann jeder hinzukommen“, erklärt Fariborz Hadipour, während er sich sein Akkordeon umschnallt. Der 44-Jährige ist so etwas wie der Hausmeister hier: Er macht das Feuer und passt auf, dass die Leute am Ende ihren Müll mitnehmen. Vor drei Jahren wurde er von ein paar Trommlern dazu animiert, am Hafen zu spielen. „Es fehlte ein Melodieinstrument und seitdem bin ich jeden Sonntag hier“, sagt der alleinerziehende Vater, der vor 17 Jahren aus dem Iran nach Münster geflüchtet ist. In seiner Musik mischt sich persische Folklore mit Zigeunermelodien und melancholischem Gesang - mal auf persisch, mal auf deutsch. Weltmusik eben. „Hier fragt keiner, woher man kommt, oder wohin man geht, man ist einfach da“, sagt er und haut in die Tasten. Nur weil er so laut spielen und singen kann, klingt sein Instrument bei der lauten Percussion überhaupt durch.

Gitarrist Olaf kommt erst später am Abend zum Zuge, wenn sich die Trommlergruppe verkleinert hat. Das schreckt den Studenten nicht ab. „Ich finde es cool, dass hier unterschiedliche Menschen zusammentreffen, vom Professor zum Penner sozusagen.“ Für ihn geht es wie den meisten hier beim Motto ‚Musik für den Frieden‘ nicht um ab-strakte politische Botschaften, sondern um das harmonische Zusammenspiel in der Gruppe. Eine, die nur mit den Füßen wippt, ist Ann Kristin. Normalerweise improvisiert die Pädogogik-Studentin mit ihrer Stimme, heute ist sie erkältet. Warum sie trotzdem bei dem Wetter hier ist? „Ich liebe die familiäre Atmosphäre, das Feuer in der Mitte, es ist wie ein Ritual.“ Auch der 60jährige Hannes Zimmermann aus Bayern sitzt seit Jahren mit im ‚Boot‘. Hier kann er sich mal richtig austoben: „In Mietswohnungen kann man nicht so laut spielen wie man will.“ Ein paarmal, können sich viele in der Gruppe erinnern, wurde ihnen die Polizei auf den Hals geschickt. Aber die sympathisierte wohl mit den Musikern und ließ sich schon lange nicht mehr blicken.

Einer der Initiatoren der Musikerrunde ist Henrik Vorschmitt: „Als wir mit dem Trommeln anfingen, war es sehr ruhig hier“, erinnert er sich in einem leicht wehmütigen Ton. Seit dem Herbst 1999 hat sich der Münsteraner Hafen extrem gewandelt: Eine Kneipe nach der anderen hat das Gebiet zum Szenetreff gemacht. Dafür bleibt auch mal vom ‚Durchgangspublikum‘ jemand hängen. Im Sommer sind es bis zu 50 Menschen, die hier musizieren. Manchmal mischt sich auch ein Profi-Musiker aus dem ‚Hot Jazz Club‘ mit Saxophon oder Trompete in die Runde. Aber auch Anfängerinnen wie Dagmar Schwammborm trauen sich mitzuspielen. Die Arzthelferin hat sich nach drei Wochen Zuhören eine eigene Trommel gekauft. „Hier sind auch Profis, aber das ist egal. Einer gibt den Rhythmus vor und die anderen kommen rein, irgendwie“. Das findet auch Uwe, 45, aus Münster: „Es passt zwar nicht immer sofort, aber dann rauft man sich zusammen, und das zählt.“