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Archiv-Artikel

Beachten Sie das Entkleidungsgebot!

Mit dem neuen Nacktbus der BVG bis zum Bahnhof Neukölln: Lachen und Scherzworte fliegen durch die mollige Luft. Das System ist zwar noch unübersichtlich. Dafür hält der Fahrer alle zwei Minuten und macht einen neuen Aufguss

Der 6er Nacktbus hält am Hackeschen Markt, und zusammen mit vielen anderen Leuten steigen wir ein. Es riecht nach Eukalyptus und frischem Schweiß, leider auch nach Döner. Wir ziehen uns aus und verstauen die Klamotten in den Spinden unter dem Sitz. Mit dem Sitzplatz haben wir Glück gehabt: Andere Nacktschwärmer waren langsamer und müssen nun im schlingernden Fahrzeug stehen.

Im Nacktbus ist die Stimmung meist recht locker. Schnell kommt man mit den Nachbarn ins Gespräch: Mit einem anderen Pärchen plaudern wir über deren originelle Idee, die Spindschlüssel in den Intimschmuck zu integrieren, die schleichende Aufweichung des Nacktbackverbots und die Frage, warum bei der Nacktleerung nur die Sendungen beginnend mit den Postleitzahlen 10 bis 16 den Empfänger bereits am folgenden Werktag erreichen.

Die Nacktbuslinien gibt es noch nicht lange – es handelt sich um einen Pilotversuch der BVG in Zusammenarbeit mit den Berliner Thermen – und das System ist leider noch recht unübersichtlich. Viel zu oft muss man umsteigen und bis zu einer halben Stunde auf den Anschluss-Nacktbus warten. Dann heißt es stets aufs Neue: rein in die Klamotten, raus aus den Klamotten.

Ohnehin ist das neue Angebot für viele Kunden durchaus gewöhnungsbedürftig. Während es für den Stadtmenschen schnell zu einer Normalität wie Nacktarzt und Nacktapotheke geworden ist, wird speziell unter Touristen aus ländlichen Gebieten des Öfteren der Wunsch laut, die Sitzreihen doch wenigstens nach Geschlechtern zu trennen. So mancher hält sich die Zeitung vor die Blöße und gibt vor, zu lesen. Wieder andere starren angestrengt an den Brüsten der Nachbarin vorbei auf die Reklame am Fenster oder die Hinweisschilder, die für die Nichtbeachtung des Entkleidungsgebots ein Strafgeld von 40 Euro androhen.

Im Allgemeinen gewöhnt sich der Kunde jedoch schnell an die Gegebenheiten des neuen Verkehrsmittels. Helles Lachen und Scherzworte fliegen durch die mollig warme Luft – im Nacktbus ist immer gut geheizt. So manchen drängt es an den Haltestellen an die offene Tür, um der erhitzten Haut etwas von der frischen kalten Winterluft zu gönnen. Von dort aus kann man auch schneller vor eventuell zusteigenden Kontrolleuren flüchten: die sind zwar ebenfalls nackt, aber um so besser erkennt man sie an ihren Umhängetäschchen und nicht zuletzt den grässlichen Narben, mit denen ihre Leiber über und über bedeckt sind.

An ungefähr jeder 10. Station hält der Fahrer zwei Minuten und macht einen neuen Aufguss – je nach Saison und Fahrtrichtung Diesel-, Eukalyptus- oder auch mal Lebkuchenaroma. Der Dampf zieht in dicken Schwaden durch den Bus: Ohne Nacktsichtgerät ist kaum noch etwas zu erkennen – ein Eldorado für die berüchtigten Splittergruppen, nackte Diebesbanden aus Südosteuropa.

Wir lehnen uns schweißgebadet zurück und ächzen gequält. Nicht wenige Fahrgäste springen auf und rennen unter die kalten Duschen im Oberdeck, dort, wo sich auch die Sonnenterrasse befindet.

Am Bahnhof Neukölln endet der Nacktbus und wir ziehen uns an. Natürlich haben wir jetzt erst mal tierischen Kohldampf – zum Glück kommt schon in fünf Minuten die Ess-Bahn.

ULI HANNEMANN