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Archiv-Artikel

„Es war der falsche Weg“

Michael sitzt in Brandenburg in Haft. Der 21-Jährige war ein brutaler Schläger in einer rechtsextremen Clique. Ein Präventivprojekt im Knast versucht Jugendliche wie ihn mit politischer Arbeit zu erreichen

„Ein bisschen Angst hab ich schon. Ich weiß nicht, ob es auf Dauer klappt“

von SUSANNE SITZLER

Michael ist 21. Er kommt in den Raum, in Jeans und T-Shirt, als ob es das Normalste auf der Welt wäre, im Knast Besuch bekommen. Sein Händedruck ist fest. Im Besuchszimmer stehen vier Tische, Nelken, ein Aschenbecher. Als Michel anfängt zu erzählen, beginnt sein Fuß nervös zu zittern. Und er erzählt, dass er es auch früher nie bemerkte: wie ihm die Knie zitterten, bevor er zuschlug.

Seit einem Jahr sitzt Michael im Gefängnis, in einer Jugendhaftanstalt in Brandenburg. Heute ist Zwei-Drittel-Tag, der Tag, an dem nur noch ein Drittel der Haft vor ihm liegt. Ab heute könnte Michael entlassen werden, wenn das Gericht es genehmigt. Michael hat einen Antrag gestellt. Er habe viel nachgedacht und wolle ein anderes Leben führen: ohne Saufen. Ohne die Kumpels, mit denen er von Dorffest zu Dorffest zieht, stets auf der Suche nach einer Schlägerei.

Michael sieht aus wie ein harmloser Typ, aber er war nicht gerade zimperlich. Mit den Fäusten oder mit den Springerstiefeln, seine Opfer schlug er krankenhausreif. Er sei kein Anstifter gewesen, sagt er, aber auch keiner, der dem Streit aus dem Weg ging. Zu den vier Malen, die er seit 1998 erwischt wurde, könne man „noch 20 Mal drauflegen“. Michaels Blick schweift ins Leere, er macht eine Pause und spricht dann ganz ruhig: „Ich wurde zu Recht bestraft. Es wurde Zeit, dass ich inhaftiert wurde.“

Als Michael 16 war, fing sein Abstieg an. Der Sport, bis dahin sein größtes Hobby, interessierte ihn nicht mehr. Seine Ausbildung zum Metallbauer auch nicht. Er begann zu „gammeln“, so nennt er es heute. Das Wichtigste für ihn waren seine neuen Freunde – Kumpels aus der rechtsextremen Szene, die er noch von der Schule kannte. Michael trug Springerstiefel und Bomberjacke, hörte rechtsextreme Musik, ging zu „Kameradschaftsabenden“ und spielte in einer Skinhead-Band. Überall, wo es Ärger geben könnte, war auch er. Seine Mutter wollte keinen Streit und tolerierte alles. Der Vater versuchte zu diskutieren, ohne Erfolg. „Die Kumpels waren meine Familie.“

Was für eine Art von Familie, das begreift er erst spät. Ungefähr vier Monate vor seinem letzten brutalen Angriff und der Inhaftierung bekommt er Zweifel an den rechtsextremen Parolen. „Ich war schon drei Mal in der Türkei, da hat’s mir gefallen.“ Irgendwie merkt er, dass alles nicht zusammenpasst. Mit dem Skinhead-Dasein habe er sich in etwas „verrannt“. Michael wollte nicht rechts sein – Michael wollte zuschlagen: „Wenn man ein paar Mal geprügelt hat, hat man Lust, das wieder zu machen.“ Der Hass, den er spürte, sei in der Szene „immer mehr aufgebauscht“ worden in Richtung Fremdenfeindlichkeit. Michael sagt heute: „Das war der falsche Weg“, aber „wo der Hass herkommt, das weiß ich auch nicht.“

Michaels letzte Tat: Er war mit Kollegen auf einem Lehrgang. An einem Abend, so erzählt er, habe ihm einer der Kollegen Süßigkeiten geklaut. Wegen dieser Lappalie kommt es zum Streit. Michael wird sauer und will dem anderen „’ne Lektion erteilen“. Er versetzt dem Jungen einen Schlag, der ihn lebensgefährlich verletzt. Wie es dazu kam, kann Michael nicht erklären: „Wenn ich was getrunken habe, bin ich nicht Herr meiner Sinne. Das geht in Sekundenbruchteilen, ich weiß nicht, was ich tue. Ich bin so selbstgerecht, kann keine Kränkung ertragen. Bewusst wird es mir erst, nachdem es passiert ist.“

Dass Michael heute über seine Schlägervergangenheit spricht, verdankt er einem Projekt: dem Projekt „Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch beeinflussten Jugendlichen im Strafvollzug des Landes Brandenburg“. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich ein bislang einmaliger Versuch in Deutschland: Jugendliche im Knast mit politischer Arbeit zu erreichen – in allen Anstalten eines Bundeslandes.

Neun Monate war Michael im geschlossenen Vollzug. „Das ist verlorene Zeit. Das bringt nichts, man ist einsam und verblödet.“ Als er von dem Projekt hörte, war er zunächst skeptisch. Doch er hoffte, schneller in den offenen Vollzug zu kommen. Seine Motivation änderte sich bereits nach dem ersten Treffen. Die beiden Trainer waren ihm sympathisch. Also ist er dabei geblieben.

Mit sieben anderen Häftlingen hat Michael an dem Kurs teilgenommen. „Das Training in der Gruppe ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg“, sagt einer der Kursleiter, der Sozialarbeiter ist. Gegenseitiges Vertrauen ist die Basis der Arbeit. Reden, reflektieren, Gehorsamsorientierungen hinterfragen, Gegenbilder aufbauen. Die Jugendlichen lernen, über sich nachzudenken. Und sie haben eine Gruppe, die zuhört. „Das ist für viele eine ganz neue Erfahrung“. Eines der wichtigsten Ziele sei, Verantwortung zu übernehmen. Auf Sprüche wie „Wir waren halt betrunken“ dürfe man sich nicht einlassen, erklärt der Trainer.

Obwohl Michael in einer rechtsextremen Gruppe aktiv war, gilt er im Gefängnis als „Mitläufer“. Der Kurs richtet sich bewusst nicht an den organisierten Kern der Szene. Dieser würde, so die Befürchtung der Verantwortlichen, die Runde eher als Plattform zur politischen Agitation missbrauchen.

Bei Michael steht die Gewaltbereitschaft im Vordergrund. „Gewalttäter sind keine Überzeugungstäter“, sagt sein Trainer. Deshalb sollen die Jugendlichen lernen, ihre Aggression in den Griff zu bekommen. Das geschieht in erster Linie durch Gespräche. Wenn die Tat in ihrer Brutalität nacherzählt wird, ist das für alle Beteiligten oft schwer auszuhalten. Doch nur so könne man klar machen: Es gibt immer eine andere Möglichkeit – Gewalt geschieht nicht zwangsläufig. „Wo ist der Punkt, an dem du aussteigen könntest?“ Das ist seine Frage.

Auch Michael hat nachgedacht. Über sich und wie er brutal Menschen zusammenschlug. Dass ihm jedes Mal die Knie zitterten, das ist für ihn kein belangloses Detail, sondern ein Strohhalm: „Meine Körpersignale sind mir nie bewusst gewesen, jetzt kann ich vielleicht im richtigen Moment sagen: ‚Halt, ich muss vorsichtig sein!‘“

Das letzte Mal, als er am Wochenende draußen war, habe es wieder irgendwo eine Schlägerei gegeben. Er habe sich „weggestellt und auch nicht hingeguckt“. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Ein Anfang. Ob Michael es auf lange Sicht schaffen kann, weiß er nicht. Da gibt es immer noch die alten Kumpels, da gibt es Alkohol. Sein Trainer glaubt an ihn: „Michael hat den größten Schritt nach vorne gemacht.“ Doch Michael sagt: „Ein bisschen Angst hab ich schon. Ich weiß nicht, ob es auf Dauer klappt.“ Jedenfalls hat er bessere Chancen als andere. Er wird wieder in seinem Betrieb arbeiten können. Seine Eltern stehen hinter ihm. „Wenn ich die nicht hätte, wär’s mir egal – dann hätte ich nix mehr zu verlieren.“

Und was ist mit den Opfern? Darüber kann Michael nicht reden. Er schweigt. Mitgefühl zeigen ist eine Übung, die noch vor ihm liegt. Weil die „eigene Opferperspektive verdrängt wird“, sagt der Sozialarbeiter, sei es für die Jugendlichen schwierig, „andere als Opfer zu erkennen“. Auch nach fast einem Jahr Training ist keiner vollständig geläutert. Im Knast wird aufgefangen, aufgearbeitet, aufgebaut. Die echte Prüfung steht noch bevor.