: Lecker, lecker, Speichellecker
Die Guidoknoppisierung schreitet voran: Ein Wahnwort geht um die Welt
Die Guidoknoppisierung der öffentlichen Speise- und Getränkebereitung nimmt bisweilen beängstigende Ausmaße an. Man möchte gar nicht glauben, wie viele Kochsendungen das Fernsehen inzwischen heimsuchen. Es irrt, wer annimmt, hier würde bevölkerungsfreundliche Aufklärung betrieben und der vom Sein gebeutelte Mensch mit kulinarischem Rüstzeug versorgt, das ihn gesunden lässt, ihn stärkt oder wenigstens unverwundbar macht. Ob „Lafer’s Kulinarium“, „Alfredissimo!“, „ServiceZeit Essen & Trinken“, „Zacherl – einfach kochen“, „Das jüngste Gericht“, „Kochduell“, „Koch-Charts“, „Die Super-Köche“, „Was die Großmutter noch wusste“, „Zwischen Himmel und Erd’“ oder „Oliver’s Twist“, für jede Geschmacklosigkeit ist etwas dabei.
Was die medialen Lebensmittelvergiftungen mit ihren Zuschauern verbindet, ist der hemmungslose Gebrauch des Wortes „lecker“. Richtig herzige Köche und also freundliche Menschen nähmen „dieses Wort“ (Vincent Klink) nie und nimmer in den Mund. Wir beachten bitte besonders seine geschlechtsneutrale Anwendung: Nicht „ein leckeres Warsteiner“ heißt das überall, sondern „ein lecker Warsteiner“. Was nicht nur auf prinzipielle Nahrungs-, sondern auch mehlschwitzenschwere Menschenfeindlichkeit hinweist.
Ebenso dummballaststoffreich müssen uns die unvermeidlichen Steigerungsformen „voll lecker“, „total lecker“, „voll total lecker“ und „schweinelecker“ erscheinen. Die flüssige oder feste Speise muss den Esser nicht mehr laben, er darf nur noch darüber labern. Die Speise, das Getränk hat nicht mehr zu schmecken, sie soll weder wohl tun noch dem inneren Frieden ein sammetweiches Lager begründen, sie soll einfach nur „lecker“ sein und auch so aussehen. „Lecker“ ist das ubiquitäre Mehrzweckwahnwort (vgl. „geil“) einer nicht unerheblichen Partialpopulation, die angeblich keine Zeit mehr für eigene Speisebereitung findet und mit einem Restbissen schlechten Gewissens wenigstens beim televisionären Kochen anderer zuschauen möchte. Nach der Sendung holt sie ihr „lecker“ Fertig-Rührei aus der Mikrowelle. Oder taut ein „lecker“ industriell vorgeschmiertes Original Butterbrot auf. Bliebe es nur dabei.
Der mit diesem amorphen Lexem bewaffnete Arm der Nahrungsbeleidigung ist längst aus dem Fernsehkasten herausgekrochen, er lässt Matjes mit „lecker macht fit“ bewerben. „Profitieren Sie von unseren Aktionspreisen“, lockt er via Bordfunk der Deutschen Bahn gutgläubige ICE-Fahrgäste in einen polytoxischen Hinterhalt und meint damit seine „Aktion lecker“. Auf dem benachbarten Hotelbalkon lässt er uns den Männer-sind-wie-Schokolade-Leserinnen-Diskurs inklusive der Worte „Bier und Käse ist (!) doch auch lecker“ belauschen. Er bläst einem pseudourbanen Laber-und-lecker-Klerus die dick gesessenen Hinterbacken auf, der glaubt, seinen Tag mit „lecker Milchkaffee“ eröffnen, mittags mit „lecker Sushi“ nachlegen und abends mit „lecker Bierchen“ seine innovative Glut ablöschen zu müssen. Denn hey: Flüssiges bricht Unheilfasten nicht. Außerdem scheucht er im glutheißen Sommer Moderatoren ins NDR-Nachmittagsprogramm und lässt sie von „lecker Badetemperaturen“ schwärmen.
Offenbar gibt es kein Entrinnen. Wie vor Guido Knopp.
MICHAEL RUDOLF