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Archiv-Artikel

d-day Die Normandie und der Irak

Was Kohl 1994 verwehrt wurde, darf Schröder 2004 nachholen. Auf der Tribüne zur Feier des 60. Jahrestages des D-Days in der Normandie wird für ihn ein Plätzchen freigehalten, Seit an Seit mit Jacques Chirac, aber auch mit Tony Blair und George Bush. Keine leichte Aufgabe für den maître des cérémonies.

KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Ursprünglich war die Sache einfach. Die westlichen Staaten der Anti-Hitler-Koalition (die Russen mussten draußen bleiben, obwohl sie die Hauptlast des Krieges getragen hatten) feierten den Tag der Landung als entscheidendes Datum für die Niederwerfung Nazideutschlands. So festigten sie die kollektive Erinnerung ihrer Völker an diesen unter großen Opfern erreichten Sieg. So war es noch 1994, weshalb „die Deutschen“ bei der Feier nicht präsent waren. Kohls Irritation über diesen Ausschluss suchte der damalige französische Präsident Mitterrand durch eine gemeinsame Militärparade am Nationalfeiertag zu beruhigen. Ein symbolischer Coup, der seine Wirkung nicht verfehlte.

Jetzt haben sich die Fäden der Erinnerungsfeier hoffnungslos verwirrt, die politischen Konstellationen sind gänzlich verändert. Der wichtigste der Gäste, George W. Bush, wird seinen Auftritt dazu nutzen, die damalige Invasion mit dem Einmarsch in den Irak zu parallelisieren und die dortige Besatzungspolitik mit dem erfolgreichen Aufbau demokratischer Strukturen im westlichen Nachkriegsdeutschland in Beziehung zu setzen. Er wird den emotionalen Mehrwert der Feier für den „weltweiten Krieg gegen den Terror“ unter US-Führung einsetzen – wohingegen Chirac und Schröder die europäische Einigung als wichtigste Frucht der Niederlage Nazideutschlands preisen und die UNO als Nachfolger der Anti-Hitler-Koalition darstellen werden. Das wird eine Feier mit zusammengebissenen Zähnen.

Dabei böte den Deutschen die Teilnahme des Bundeskanzlers an der Feier Stoff zur historischen Selbstvergewisserung. Kohl hatte, als er 1994 ignoriert wurde, den Mythos wiederbelebt, nach dem die Widerständler des 20. Juli 1944 den Ideen einer künftigen deutschen Demokratie gefolgt wären. Sie wurden zu den eigentlichen Gründervätern der Bundesrepublik hochstilisiert. Wenn jetzt Schröder an der Feier des D-Days teilnimmt, bekräftigt er hingegen die Tatsache, dass es ausschließlich der Sieg der Alliierten und die bedingungslose Kapitulation waren, die den Weg zur Demokratisierung Deutschlands frei machten.

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