: Die Ödnis südlich von Spanien
Besuch auf der Ex-Expo: Aus der Weltausstellung von einst ist gut drei Jahre nach dem Ende ein „wunderschönes Gewerbegebiet“ mit Schönheitsschrammen geworden. Der Leuchtturm der Hoffnung ist die Talentschmiede von Mousse T
Aus Hannover Kai Schöneberg
Potz Blitz! Mitten aus dem Nichts tauchen plötzlich Rudolf Schenker und Klaus Meine auf. Schüchtern wie Schuljungen schlurfen die Monsters of Niedersachsen-Rock durch das gigantische Studio von Peppermint Jam und begrüßen das Produktionsteam mit einem schlichten „Guten Tag“. Nicht gerade einer der „Moments of Glory“ – das war die Expo-Hymne der Scorpions – aber irgendwie hätte dann doch kein Mensch gedacht, dass sich hier auf dem Totentanz-Gelände heute noch echte Weltstars rumdrücken. Südlich von Spanien, dort wo einst die Pavillons von Kroatien, Monaco oder Rumänien standen, ist heute nur noch Leere. Einsam gammelt der futuristisch-gelbe Litauen-Block mit seinen Bauzäunen und Mülleimern einem wohl realsozialistischen Ende entgegen. Es gibt viel Auslauffläche und noch mehr Parkplätze. An den „Gärten im Wandel“ bauen sich zwei Jugendliche in der Wintersonne einen Joint. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass jemand stört.
„Hier ist kein Totentanz“, betont dennoch Wolfgang Sink, der Geschäftsführer von Peppermint. Vor zwei Jahren hat sich die CD-Schmiede von Mousse T auf dem ehemaligen Gelände der Expo angesiedelt. Im belgischen Pavillon, wo einst die Sattel belgischer Radrenn-Legenden zu bewundern waren, wuseln heute Künstler, Fotografen und schnieker Szene-Staff. Die 3.000 Quadratmeter Peppermint sind auf dem etwa 50 Fußballfelder großen Gelände der Expo-Ost wohl so was wie ein Leuchtturm der Hoffnung. Das hat mit Mousse T zu tun. Der Grammy-nominierte Mixer alias Mustafa Gündogdu, ist der neue Erschaffer des Sound of Hannover. Er hat „Sex Bomb“ von Tom Jones produziert, Fury in the Slaughterhouse haben in den Peppermint-Studios ihr neues Album aufgenommen, Xavier Naidoo hat hier gerade „Platin“ für seine letzte CD bekommen. Mousse T hat Leben auf die Ex-Expo gebracht. Sink sagt, Peppermint brauche nicht den Beat der Stadt, „wir brauchen eine gesunde Arbeitsatmosphäre“. Und die haben sich die 30 Peppermintler mit einem Restaurant, Künstlerwohnungen, einem Gym und den Tonstudios einfach in die Ödnis südlich von Hannover implantiert. Niemand spricht hier mehr von den Pannen aus Expo-Zeiten: Noch sei es „Kunst, sich die Optik wegzudenken“, sagt Sink. Aber: „In fünf Jahren ist das Gelände bis hinten durch entwickelt“. Seinen Optimismus möchte man haben.
Vielmehr erinnert die Weltausstellungsfläche heute noch eher an den Riesen-Flop von einst. Die „größte Regionalausstellung der Welt“ war eine gigantische Pleite mit Milliardenverlusten und schweren Image-Schäden für Hannover, Niedersachsen, ja für die ganze Republik. Anfangs hatte niemand die Show von Birgit Breuel sehen wollen: Gerade hundert waren zum Konzert von BAP gekommen und Kölschrocker Wolfgang Niedecken sagte, das „ist ja hier wie früher“. Nachher, als Prinz Ernst August an den türkischen Pavillon pinkelte und als die Expo-Macher panisch das Land mit Feldbusch- und Ustinov-Anzeigen überzogen, schwappte „in“ Mexiko doch der Tequila an die Decke. Tausende formten stundenlange Schlangen vor dem Planet M von Bertelsmann. Und „in“ Australien wurde jede Menge Fosters mit Känguru-Wurst gereicht. Doch als die Party im Oktober richtig begann, war es schon zu spät. Nach 153 Tagen schloss die Expo ihre Pforten. Anstatt der lange eisern prognostizierten 40 Millionen besuchten letztlich 18,1 die Schau, davon nur knapp 400.000 aus dem Ausland.
Gut drei Jahre nach dem Ende ist auf dem Expo-Gelände immer noch kein wirklicher Moment der Glorie zu entdecken. Sogar eine Autorennstrecke hatten die Planer in ihrer Not schon auf das Gelände gegenüber der Messehallen gedacht. Immerhin: Die FH für Kommunikationsdesign ist im „Global House“ untergekommen, der Haarfarben-Musterkartenhersteller Meithai sitzt im tschechischen Pavillon.
Traurig: die große Leere auf der einst zentralen „Expo-Plaza“. Am Deutschland-Pavillon, dem großen Hotel, der Preussag-Arena und am „Planet M“ ist weiter jeden Tag Geisterstunde. Dass die Expo heute ein „wunderschönes Gewerbegebiet“ ist, dass man jedoch „die Hölle eines Problems hat, wenn man die Schauarchitektur vermarkten muss“, sagt selbst Wolfgang Schatz, Geschäftsführer der Expo Park. Das ist die Firma, die sich um die Nachnutzung des Gebietes kümmert. Dennoch ist für Schatz das Glas halb voll, nicht halb leer.
Der italienische Pavillon steht heute in Rom, der Christus-Pavillon im Ostharz, „Indien“ ist nun eine Tennishalle in Laatzen, das Japan-Haus lebt als Recycling-Papier weiter. Von den einst 89 Pavillons stehen noch 34. Selbst der niederländische Pavillon soll dieses Jahr zu einem Bürogebäude umgebaut werden. Immerhin stünden nur noch neun Hektar oder 20 Prozent des Geländes zum Verkauf, sagt Schatz. Und: „Jede Expo hat bis jetzt Verluste geschrieben. Bis auf die erste 1851 in London.“