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Archiv-Artikel

Tafeln mit der Tafel

Die Berliner Tafel feiert ihr 15-jähriges Jubiläum. Aus der Initiative wurde eine große Organisation, die Arme mit Nahrungsmitteln versorgt. Und unter Nachahmern leidet

Die Berliner Tafel feiert heute in der Heilig-Kreuz-Kirche am Halleschen Tor ihr 15-jähriges Jubiläum. Damit geht die soziale Einrichtung an einen Ort, wo Obdachlosenarbeit großgeschrieben wird. Obdachlose waren die erste Zielgruppe des 1993 von Sabine Werth und anderen etablierten Vereins.

Die Gründungsidee war so einfach wie bestechend: In Berlin werden, so dachten Werth und ihre Mitstreiterinnen, täglich große Mengen an Lebensmitteln weggeworfen. Gleichzeitig gibt es sehr viele Menschen, die am Essen sparen müssen. Es bedürfe, so dachte Werth, nur einer Logistik, um die überflüssigen Lebensmittel zu den Bedürftigen zu bringen.

Offensichtlich stieß sie damit in eine Lücke. Heute sammeln allein in Berlin 600 Ehrenamtliche mit 16 Kleintransportern monatlich ungefähr 550 Tonnen Lebensmittel und verteilen sie – zusammen mit weiteren 1.200 Freiwilligen – an etwa 125.000 Arme. Damit erreichen sie ein Viertel der Berliner, die von Hartz IV oder Arbeitslosengeld II, einer niedrigen Rente oder anderen Sozialleistungen leben.

Drei Standbeine hat die Berliner Tafel mittlerweile. Zum einen werden Lebensmittel an soziale Einrichtungen geliefert, die sie für ihre Klientel verarbeiten. Vor fünf Jahren kamen die Ausgabestellen von „Laib und Seele“ hinzu. Dort können sich Bedürftige für 1 Euro einmal in der Woche eine Tüte Lebensmittel abholen. Zudem betreibt die Tafel drei Kinderrestaurants. Aus dem kleinen Verein ist eine riesige Organisation geworden – mit Ablegern in ganz Deutschland.

Doch die rasant wachsende Popularität ist mittlerweile die Schwachstelle des Vereins. „Wir waren als Notversorgung gedacht. Es darf nicht notwendige Grundversorgung werden. Dafür ist der Sozialstaat zuständig. Ich fordere das auch öffentlich ein“, sagt Werth. Es sei ungünstig, dass die Tafel so viele Nachahmer hat, die ebenfalls Lebensmittel verteilen, ohne die politische Dimension zu thematisieren. Das fördere zudem den Tafeltourismus. Wenn Betroffene täglich zu einer anderen Organisation gehen können, um sich Essen abzuholen, leiste dies auch der Begründung für den Sozialabbau Vorschub, meint Werth.

Peter Grottian, emeritierter Politikprofessor und unermüdlicher Mahner gegen den Sozialabbau, spricht mittlerweile bereits von einer „Tafelisierung der Gesellschaft“. Die Tafeln seien die neue Armenfürsorge – ähnlich der im 19. Jahrhundert. „Man muss doch das Verhältnis sehen zwischen 500 Milliarden Zucker für Zocker und der weiteren Verarmung der Bedürftigen.“ Hartz-IV-Betroffene hätten seit der Bildung der großen Koalition durch Inflation 15 Prozent weniger Geld zur Verfügung.

Nicht zuletzt hat die Berliner Tafel mit Nachahmern wie der Tiertafel zu kämpfen. Die unterstützt bedürftige Tierfreunde, macht aber auch Schulungen in tiergerechter Haltung. Die Gründerin Claudia Hollm weist den Vorwurf, sie hätte sich an die Tafelbewegung gehängt, weit von sich. „Ich habe bei dem Wort Tiertafel mehr an Schultafel gedacht“, sagt Hollm.

WALTRAUD SCHWAB