: Kohlfahrt ins Ungewisse
Die Bremer Verbraucherzentrale ist „alarmiert“, das Landesuntersuchungsamt (LUA) verweist auf die Verhältnismäßigkeit: In Grünkohl wurde unter anderem das Gift Dimethoat gefunden
Von Henning Bleyl
Im aktuellen Lebensmittel-Monitoring des Berliner Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit kommt Grünkohl besonders schlecht weg: Zwar erwiesen sich auch zahlreiche anderes Obst und Gemüse als Pestizid-belastet. Grünkohl ist jedoch besonders problematisch, weil an den krausen Blattoberflächen besonders viele Rückstände hängen bleiben.
Ein Fünftel der 162 untersuchten Proben liegen oberhalb der zugelassenen Pestizid-Mengen. Sie stammen aus dem Jahr 2007: Das Monitoring wird immer mit großer zeitlicher Verzögerung publiziert, für die aktuelle Saison liegen noch keine Ergebnisse vor. Unter anderem wurden Rückstände von 15 Pestiziden gefunden, die überhaupt nicht für Grünkohl zugelassen sind. Elf Prozent der Proben beinhalteten das Insektizid Dimethoad. Nach Angaben der Bremer Verbraucherzentrale, die die „unerwartet hohen Rückstände“ als „alarmierend“ einschätzt, wird Dimethoad „häufig als Mord- oder Selbstmordmittel eingesetzt“. Auch das Bundesamt weist darauf hin, dass bereits bei einmaligem Verzehr von Dimethoad-belastetem Kohl gesundheitliche Folgen nicht auszuschließen seien.
Die Ergebnisse des Bundesamtes stellten für ihn „durchaus eine Überraschung“ dar, sagt Bernd Gabel vom Bremer Landesuntersuchungsamt für Chemie, Hygiene und Veterinärmedizin (LUA). Die ebenfalls 2007 durchgeführten Kontrollen des LUA – insgesamt wurden 350 Proben quer durch die Gemüse- und Obstsorten genommen – hätten keine Beanstandungen bei Grünkohl ergeben.
Die Bremer Grünkohl-Stichprobe beschränkte sich allerdings auf eine Entnahme. Die Kontrolleure in Niedersachsen, wo der größte Teil des hier konsumierten Kohls herkommt, fanden in drei von 30 Proben Überschreitungen der Höchstmenge. Reicht diese Stichproben-Dichte aus? „Wir würden sie gern höher haben“, sagt Gabel. Auch die Analyse-Apparate des Landesamtes entsprächen nicht dem Stand des technisch Möglichen.
Dass bei einer Grünkohl-Probe sogar die „akute Referenzdosis“ überschritten wurde, sei „völlig unakzeptabel“. Nichtsdestoweniger müsse man Verbrauchern keineswegs davon abraten, auf Kohlfahrt zu gehen.
Gabel verweist auf die Verhältnismäßigkeit von Gesundheitsrisiken: Die Wahrscheinlichkeit verfrühter oder zusätzlicher Todesfälle steige durch falsche Ernährung – „zu viel, zu falsch, zu fett“ – um 30 bis 40 Prozent, durch Pestizid-Belastung hingegen nur um 0,1 Prozent.
Selbstverständlich seien die Behörden jetzt „hellwach“, sagt Gabel, ab sofort werde es verstärkte Grünkohl-Kontrollen geben. Regina Aschmann von der Verbraucherzentrale weist gegenüber der taz darauf hin, dass bei Großherstellern wie dem Gefrier-Risen „Iglo“ keineswegs sicher gestellt sei, dass dort auch nach nicht zugelassenen Pestiziden gesucht werde.