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Archiv-Artikel

Wachhalter Wechselschicht

Schichtarbeiter entwickeln oft Schlafstörungen. Regelmäßige Bettzeiten, ein gesunder Lebensstil, taghelles Kunstlicht und nach vorn rotierende Schichtpläne können für erholsamen Schlaf sorgen

VON PIA M. SOMMER

Die Wissenschaftler der Charité staunten nicht schlecht über das Ergebnis ihrer an 30 Schwesternschülerinnen durchgeführten Schlafstudie. Sie hatten untersucht, wie die jungen Frauen damit zurechtkamen, erstmals in ihrem Leben im Schichtdienst zu arbeiten. „Wir hatten erwartet, dass ihr Schlafrhythmus durcheinandergerät“, berichtet Thomas Penzel, Leiter der Forschung im Schlafmedizinischen Zentrum der Charité. „Sie hatten aber kaum Probleme mit dem Umgewöhnen. Wir führen das darauf zurück, dass die Frauen erst um die 20 Jahre alt waren und es ihnen noch nicht schwerfiel, mal eine Nacht durchzumachen oder zu arbeiten.“

Andere Untersuchungen ergaben jedoch, dass Schichtarbeit auf lange Sicht bei vielen Menschen zu Schlafstörungen führt. Je älter die Arbeitnehmer, desto häufiger haben sie Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen. Wechselschichten seien besonders belastend, berichtet Jürgen Zulley, Schlafforscher an der Universität Regensburg. Bei 19 von 20 Betroffenen lösten sie bleibende Schlafstörungen aus.

Der Grund: Wer nachts arbeitet, lebt gegen seine innere Uhr. Er ist wach, wenn sein Körper auf Schlaf eingestellt ist, und er muss schlafen, wenn der Körper aktiv sein will. Das hat Folgen. Am Tag ist der Schlaf unter gleichen Bedingungen ein bis zwei Stunden kürzer als in der Nacht, resümiert die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Zudem ist es tagsüber hell, warm und laut. Erholsame Bettruhe kann sich da schwer einstellen. Die ist aber nötig, um gesund zu bleiben.

„Der Mensch braucht längeren Schlaf am Stück – und zwar ungestörten“, sagt Professor Penzel. Denn der Körper schüttet im Schlaf wichtige Hormone aus, die die Regeneration der Zellen fördern und das Immunsystem stärken. Außerdem dient Schlaf der mentalen Erholung, und das Gedächtnis verarbeitet im Schlaf zuvor Erlebtes.

Um nach einer Nachtschicht genug Schlaf zu bekommen, rät Penzel, sich morgens gleich nach der Arbeit hinzulegen: „Mittags ist ein ganz ungünstiger Zeitpunkt zum Schlafen, weil die Körpertemperatur dann am höchsten ist.“ Probleme beim Einschlafen umgeht, wer nach jeder Schicht zu einer festen Zeit ins Bett geht.

Gegen Ende der Nachtschicht sollten Kaffee und Schwarztee in der Kanne bleiben. Für den Energieschub empfehlen Ernährungsexperten stattdessen leichte Snacks wie Äpfel oder Bananen. Dann möglichst nichts mehr essen, um den Schlaf nach der Schicht nicht zu stören. Überhaupt wirkt sich eine gesunde Ernährung positiv auf die Schlafqualität aus. Verpönt, aber absolut effektiv, damit einem die Augen beim Nachtdienst nicht zufallen: ein 20-minütiges Nickerchen in der Pause. Ein solches „Power Napping“ verhindert Fehler und Unfälle bei der Arbeit und steigert die Leistungskraft.

Wer am Morgen nach einer Nachtschicht ganze Schafherden durchzählen muss, bis er einnickt, kann es mit einem beruhigenden Kräutertee versuchen. Bewährt haben sich Aufgüsse aus Lavendel, Hopfen, Johanniskraut und Baldrian. Ein Melissenbad beruhigt zusätzlich die Nerven.

Auch Homöopathen setzen auf Heilkräuter: „Passiflora D2“ gegen nervöse Schlafstörungen enthält zum Beispiel Passionsblume; „Pulsatella“ gegen Probleme beim Einschlafen Kuhschellenkraut. Die Wirksamkeit solcher homöopathischer Wirkstoffe bei chronischen Schlafstörungen belegten Wissenschaftler der Charité in einer Studie mit knapp 500 Teilnehmern.

„Zu schlafanstoßenden Medikamenten sollte jemand aber nur in einer Phase greifen, in der er sehr belastet ist“, warnt Schlafforscher Penzel. Schlafmittel dürften auf keinen Fall länger als drei Wochen eingenommen werden – und schon gar nicht ohne Rücksprache mit einem Arzt. Sie können nicht nur abhängig machen, sondern steigern auch die Gefahr, ungewollt einzunicken.

Abschalten per Alkohol sollte ebenfalls tabu sein. Zwar kann ein kleines Feierabendbier müde machen, insgesamt jedoch verhindert Alkohol erholsamen Schlaf. Er belastet den Organismus und das Nervensystem: Statt Ruhe und Regeneration steht der Abbau des Alkohols auf dem Körperprogramm.

Um Grübeln abzustellen und in Schlafstimmung zu kommen, helfen Entspannungsmethoden wie autogenes Training, Yoga, Meditation oder Fantasiereisen. Erstaunliche Erfolge erzielten Forscher mit Akupunktur. Sie sei eine effektive Therapie bei Schlafproblemen, resümiert die Universität Pittsburgh. Nadelstiche an ausgewählten Stellen an Handgelenk, Unterarm und Bein bewirken, dass der Körper mehr schlaffördernde Botenstoffe, wie das Hormon Melatonin, freisetzt. Nach den Vorstellungen der traditionellen chinesischen Medizin, zu der die Akupunktur gehört, ist bei Schlafproblemen die Harmonie zwischen den Yin-Energien der Nacht und den Yang-Energien des Tages gestört. Die Nadelkur löst Blockaden und bringt die Energien wieder zum Fließen und ins Gleichgewicht.

Erholsamer Schlaf beginnt am Arbeitsplatz – nämlich mit der geeigneten Vorbereitung darauf: Untersuchungen haben gezeigt, dass der Körper Nachtarbeit bei taghellem Kunstlicht besser akzeptiert und sich der Zeitpunkt des größten Schlafbedürfnisses dann nach hinten in den Vormittag verschiebt.

Außerdem sagen Arbeitsmediziner, dass es den meisten Menschen am besten tut, wenn die Schichtpläne zügig nach vorn rotieren. Spätestens nach drei Tagen sollte auf Frühdienst Spätschicht, dann Nachtarbeit und schließlich Freizeit folgen. In diesem Rhythmus ergeht es Schichtarbeitern wie Piloten, die immer westwärts fliegen. Ihre Körperfunktionen können sich verlangsamen, statt schneller ablaufen zu müssen – das kommt der inneren Uhr entgegen.

Wissenschaftler weisen allerdings inzwischen darauf hin, dass manche Berufstätige besser mit Nachtarbeit und längeren Schichtplänen klarkommen als andere. Eine Typfrage. Chronobiologen unterteilen die Menschen nämlich in Nachtaktive, die sogenannten Eulen, und Frühaufsteher, die sogenannten Lerchen. Während Eulen ohne große gesundheitliche Probleme bis um 4 Uhr morgens arbeiten können, macht es Lerchen wenig aus, um diese Zeit ihre Arbeit zu beginnen. Idealerweise sollte Schichtarbeit künftig an den Chronotyp angepasst sein und auf die persönliche Taktung eines Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Das könnte Schlafstörungen und gesundheitliche Folgeprobleme deutlich verringern.

Die Ludwig-Maximilian-Universität bietet einen Fragebogen, mit dem sich der persönliche Chronotyp ermitteln lässt: http://imp-muenchen.de/?mctq