Kennste den?

Christoph Marthaler inszeniert „Groundings“ als einen großen Spaß zu Swissair, Schauspielhaus und Ökonomie

Das Grounding ist sächlich, aber man kann es auch als Verb konjugieren: ich grounde, du groundest, etc. Mit der Bedeutung dieses Anglo-Helvetismus wird sich der Duden schwer tun. Obwohl der ereignishafte „Ursprung“ klar scheint. Wenn die Bank es will, steht alles still: Im Herbst 2001 kam der Tag, als auf dem Flughafen Zürich-Kloten die Schweizer Vögel am Boden blieben. Die Swissair, nationales Symbol für Exzellenz und Sicherheit, das alles war auf einmal am Ende. Man nannte das Fanal fortan beim fremden Namen, man nannte es Grounding.

Sprachlich übte die Schweizer Bevölkerung den kollektiven Exorzismus. Grounding – als Sache, als Tätigkeit – avancierte zur Königsmetapher für alles, was irgendwie schief lief. Trauma-Training: Um den Schock zu verarbeiten, wiederholte man seinen Namen exzessiv. So was setzt neue Witze in die Welt. Christoph Marthaler, seine Dramaturgin Stefanie Carp und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock ließen sich in „Groundings“ zu einem großen, radikalen Spaß anstiften.

Vielleicht ein Spaß für Eingeweihte. Deshalb die Didaktik. Hallo Deutschland, hast du die Mehrzahl „Groundings“ eigentlich schon bemerkt? Denn gegroundet wurde ja nicht bloß die Swissair. Chef Marthaler selbst erhielt im letzten Herbst den blauen Brief, der Konkurs drohte, im Dezember durften er und seine Truppe dann doch bleiben. Deshalb übersetzen die Eingeborenen den angereisten Ethnografen nach der Premiere so dies und jenes.

Josef Ostendorf sieht nämlich nach der Maske aus wie Peter Nobel, Verwaltungsratspräsident der Schauspielhaus AG, und Karin Neuhäuser hat den stämmigen Ellen-Ringier-Look einer weiteren, mittlerweile zurückgetretenen Verwaltungsrätin. Dass sie gleichzeitig ein paar Sätze aus Richard Huelsenbecks Krisenroman „Doctor Billig am Ende“ (1921) sprechen darf und daraus das sadistische Überweib Margot darstellt, ist nur eine von vielen Bösartigkeiten. Ueli Jäggi wiederum trägt den Scheitel Philipp Bruggissers, der die Airline in Swissairland selig mit der so genannten Hunter-Strategie ruiniert hat. Und Jean-Pierre Cornus Fliege markiert klar den Pleite-Banker Martin Ebner. Ein heiteres Beruferaten also.

Swissair und Schauspielhaus werden fröhlich verlinkt, das hat schon seine Richtigkeit: Auch beim noch nicht ganz abgewendeten Grounding des Theaters wurde nie recht klar, ob jetzt die Eintritte schuld sind oder doch auch ein bisschen die Fehlinvestitionen in EDV und Immobilien. Und der kapitalistische Zynismus, dass so ein Scheitern vielleicht nur die Dynamik des Erfolgs in Gang hält, gilt schließlich auch für ein Theater. Marthaler und Co. öffnen hier allerdings mehr ein Ventil, als sie die „Western World“ auf Grundeis analysieren. Dafür ist das Programmheft zuständig, sehen kann man das kaum. Die „Groundings“ übersetzen den Hass auf alles Durchökonomisierte in Kunst und Komik – dies dann gründlich. Ein Geständnis: Ich habe immer ein bisschen zu laut gelacht.

Schuld ist bereits zu Beginn Kapellmeister Jürg Kienberger oder Herr Quadroni, der gegroundete Anlageberater aus St. Moritz. Als der eiserne Vorhang nicht hochgehen will, spielt Quadroni etwas Pausenmusik, dankt für die Entschuldigung, man habe eben eine neue EDV-Anlage. Irgendwann geht der Lappen doch noch hoch. Anna Viebrock klebt eine Luftaufnahme Zürichs auf den Bühnenboden, hinten sieht’s eher nach Schulungsraum aus: Stuhlreihen und zwei Wandtafeln. „Verantwortungsabgabe rechts“ und „Abfindungsabgabe links“ steht da drauf. Die Herren werden munter, watscheln sozusagen ins Wasser – des Zürcher Sees –, erzählen die Geschichte der Swissair und gehen mit der Dame einig: „Wer den Rotwein kalt serviert, ist keine Konkurrenz für uns.“ Dann wird kräftig gesungen („Sabena, Al Italia, bilateri-bilateral!“), bevor man auf dem Luftbild flugs die nächste Apotheke aufsuchen muss. Siebzehn Ponstan, ein potenter Pain Killer, müssen’s schon sein. Trainiert – oder auch nur erinnert, wer weiß – wird inbrünstig: eine Andacht vor dem „Bankgeheimnis“ zum Beispiel, einem unzugänglichen Geldautomaten hoch oben. Oder das Air Conditioning mit ausgebreiteten Armen, wo man lernt, in die schwarzen Zahlen zu fliegen. Gelernt will auch ein Abgang sein. „Wir bleiben Freunde“ heißt es händeschüttelnd, bevor das fahrende Fauteuil durch eine Styroporwand rast.

Dann gibt’s, wie gesagt, noch dies und das. Kennste den? Ja, das ist doch der eifrige Assistent des kaufmännischen Direktors, dem das Apfelmus aufstößt während der Powell-, äh, Power-Point-Präsentation.

Gegen Ende wird’s dann grundsätzlicher, zugegeben. Crash-Test-Dummies tanzen mit den Groundlingen den letzten Tanz. Und Apokalypse-Priesterin Uriella – kennt ihr die? – liest den Puppen aus einem Globibuch vor – kennt ihr den?

TOBI MÜLLER