: Der Schutzschild des Malochers
Eine Begegnung der dritten Art in einem Bagdader Kraftwerk: Ausländische Friedensaktivisten wollen die irakische Zivilbevölkerung schützen. Bei der Kontaktaufnahme hapert es allerdings noch. Die Arbeiter reagieren verwundert
aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY
Bisher hatten die Arbeiter des Bagdader Kraftwerks Süd von den „menschlichen Schutzschilden“ nur aus den irakischen Medien gehört. Am Sonntag war es dann soweit: Die erste Gruppe ausländischer Friedensaktivisten kommt zum Ortstermin. Die bunte Truppe nimmt in der Kantine ihr Mittagessen ein.
Für ein paar der ausländischen Gäste hat das Kraftwerkspersonal unweit der Kantine ein paar Betten aufstellen lassen. Einige der aus aller Welt Angereisten wollen ab jetzt jeden Tag hier übernachten, um zu verhindern, dass das E-Werk, das vermutlich auf den Zielkoordinaten der US-Bomber einprogrammiert ist, tatsächlich Ziel eines Angriffs wird. Über 500 dieser „menschenlichen Schutzschilde“ haben sich im Irak angekündigt. Mehr als 130 sind bereits angekommen und wollen sich in den nächsten Tagen im ganzen Land auf Krankenhäuser, Schulen, Wasserwerke und sonstige für die zivile Infrastruktur wichtige Einrichtungen verteilen.
Der Deutsche Jürgen Hanel ist einer der Kantinenbesucher. Heute hat er sich das Kraftwerk angesehen, aber in wenigen Tagen will er sich auf den Weg in die südirakische Stadt Basra machen, um dort sein Lager in einem Kinderkrankenhaus aufzuschlagen. Mit seiner Aktion, über die er seit dem vergangenen Herbst nachgedacht hat, will der Tübinger den Menschen im Irak das Gefühl geben, nicht vergessen zu sein.
„Ich will ihnen eine Stimme geben und mich den US-Kriegsvorbereitungen direkt in den Weg stellen“, sagt der 40-Jährige. Das Ziel der menschlichen Schutzschilde sei nicht, dass die US-Bomber um die im Land verteilten Ausländer einen Bogen fliegen, sondern dass die gesamte Zivilbevölkerung von Angriffen verschont bleibe, erklärt er. Klar stellen möchte er auch, dass er sich nicht mit der irakischen Regierung solidarisiert. „Ich bin hier nicht“, so Hanel, „um das Regime zu stützen, sondern um die Menschen zu schützen.“
Wenn er nicht versucht, einen Krieg zu verhindern, schlägt sich Hanel in Deutschland als Lastwagenfahrer durchs Leben. Nach seinem Abitur habe er keine berufliche Karriere angestrebt, sondern es sich zur Aufgabe gemacht, ungerechte soziale und politische Zustände anzuprangern, sagt er. Falls es im Irak tatsächlich zum Krieg kommt, hat er sich vorgenommen, dort zu bleiben. So ganz klar scheint das allerdings noch nicht zu sein. Es gebe eine Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Frage beschäftige, aber die habe die Angelegenheit noch nicht ausdiskutiert, erklärt Hanel. Falls er es sich anders überlegt, hofft er, als Ausländer so privilegiert zu sein, um über die Grenze zu kommen. Für den Fall, dass es im Laufe eines Bombardements zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt, trägt er arabische Flugblätter mit sich, die die Funktion eines menschlichen Schutzschildes erklären. Er habe keine Angst, zur Zielscheibe der Bevölkerung zu werden. Eine Gasmaske oder einen ABC-Anzug hat er nicht dabei. „Ich will in der gleichen Position sein, wie die irakische Zivilbevölkerung“, führt er aus.
Im Vorfeld des letzten Golfkrieges hatte das Regime Ausländer als Geiseln genommen und seinerseits als menschliche Schutzschilde benutzt, indem sie zwangsweise in militärische Einrichtungen gebracht wurden. Über eine derartige Möglichkeit hat er sich kaum Gedanken gemacht. „Wir suchen uns unsere Plätze selbst aus, ansonsten gibt es Ärger“, sagt er. Mit Irakern hat er, abgesehen vom Hotelpersonal, bisher wenig Kontakt. Seine Tage seien meist damit ausgefüllt, andere Friedensaktivisten zu treffen.
Der irakische Mechaniker Qusai steht in seinem blauen Overall draußen im Vorhof des Kraftwerkes und blickt etwas verwundert und belustigt auf die merkwürdige Mischung aus ausländischen „Schutzschilden“ und die sie verfolgenden Journalisten aus aller Welt, die sich überall im E-Werk breit machen. Etwas komisch findet er die Leute, mit denen er sich nicht unterhalten kann schon, sagt er, „mit ihren bunten Klamotten, langen oder geschorenen Haaren“. Fremd mutet ihn auch an, dass unverheiratete Frauen und Männer einmütig in einer Gruppe zusammen sind.
Aber am Ende legt sich bei dem irakischen Arbeiter sein erster Kulturschock während dieser Begegnung mit der dritten Art im Bagdader E-Werk Süd: „Warum nicht“, schließt er, „wenn es etwas nützt, ist es gut.“