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Archiv-Artikel

Vom Leben hinter der Schranke

Das selbst verwaltete Künstlerhaus Güterabfertigung hat eine kleine und sehr feine CD-Rom zur Selbstdarstellung produziert, die zeigt: Der Güterbahnhof wird als Niemandsland im Herzen der Stadt immer noch von den KünstlerInnen entdeckt

Als erstes muss man es über die Schranke schaffen. In Baustellen-Rot-Weiß liegt sie vor einem, herniedergeschickt von unsichtbaren Mächten, und niemand weiß, wann und ob der Zug kommt, dem die Schranke das Geleit gibt. Das Gerüchte geht, dass sie auch schon mal vergessen worden sein soll – was den KünstlerInnen den Weg zur Arbeit schwer machen kann. Denn die Schranke ist eine Autorität, wohl die letzte, bevor auf dem stillgelegten Güterbahnhof-Areal mit dem selbstverwalteten Künstlerhaus Güterabfertigung ein ziemlich großer Freiraum losgeht.

Insgesamt 2.399 Quadratmeter Fläche bietet die ehemalige Güterabfertigung, die die Bremer KünstlerInnen und MusikerInnen seit Dezember 1997 nutzen – als Ateliers, Übungsräume, Studios, Schnitträume, je nach dem. Damals wurde der Deal nach langen Verhandlungen mit der Deutschen Bundesbahn perfekt, heute ist der Vermieter des monströsen Flachbaus die stadteigene Bremer Investitions Gesellschaft (BIG). Momentan arbeiten 76 KünstlerInnen im Künstlerhaus, dazu gibt es nebenan im Tor 47 eine Bildhauerwerkstatt und das alles läuft auf eigene Rechnung: Der „Verein 23 zur Förderung intermedialen Kulturaustausches“, der das Künstlerhaus Güterabfertigung trägt, bekommt abgesehen von einem bescheidenen Zuschuss für die hauseigene Galerie Herold keine Gelder aus öffentlichen Kassen.

Einerseits gewährleistet das den Künstlern maximale Unabhängigkeit, andererseits können Probleme so schnell existenzbedrohend werden: Ende 2002 stand das Künstlerhaus vor dem Aus, nachdem die Heizung den Geist aufgegeben hatte und ausgewechselt werden musste. Gemeinsam mit SPD-Kulturpolitikerin Carmen Emigholz und Rose Pfister von der Kulturbehörde trieb man das fehlende Geld bei Sponsoren und der Stadt auf, nun geht die Heizung, nur Thermostate gibt es keine. Das wiederum treibt über erhöhte Nebenkosten die Atelier-Mieten hoch – derzeit bemüht sich der Vorstand bei seinem Vermieter, der BIG, um eine Lösung.

Eine weitere Folge des No Budget: Das Künstlerhaus hat kein Geld, Ausstellungen und Konzerte bekannt zu machen. Dabei soll die Vernetzung zwischen Künstlern verschiedener Sparten nicht an der Bahnschranke Halt machen, sondern in die Stadt hineinwirken. Im vergangenen Jahr hat man deshalb eine CD-Rom produziert, ein kleines und feines Projekt zur Selbstdarstellung: Die Kapitel „Architektur“, „Tor 47“, „Galerie“, „Kunst“ und „Electrolounge“ berichten via Fotostrecken, kleinen Surround-Movies und elektronischer Musik davon, in welcher Umgebung die Güterabfertigungs-KünstlerInnen arbeiten. Vor allem aber erzählt die CD-Rom, wie die Künstler ihr Niemandsland mitten in der Stadt nach wie vor entdecken und sich von dem Ort inspirieren lassen: Die leeren Hallen um das Künstlerhaus, die Stadtansichten, die Dächer, die Flure – die Grenze zwischen Kunstproduktion und Dokumentation fließt.

Sicher am reichhaltigsten ist dann das Kapitel „Künstler“: Alle in der Güterabfertigung arbeitenden KünstlerInnen sind aufgelistet und die meisten von ihnen sind verlinkt, ein Mausklick zeigt eine ihrer Arbeiten. Die CD-Rom wirft so viele kleine Blicke in die Güterbahnhof-Ateliers, und diese offenbaren nicht nur eine sehr kurzweilige Vielfalt, sondern teilweise auch bemerkenswerte Qualität.

In realiter ist die nächste Ausstellungseröffnung in der hauseigenen Galerie Herold am kommenden Freitag um 20 Uhr: Jutta Haeckel, die ihr Atelier im Künstlerhaus Am Deich hat, zeigt Malerei unter dem Titel „Schimmer“. Allerdings nur für zwei Wochen, so will es das Galerie-Konzept: Jeden ersten Freitag im Monat wechselt die Ausstellung.

Klaus Irler

Die CD-Rom „Künstlerhaus Güterabfertigung“ ist zum Preis von 10.- Euro erhältlich bei Christian Meier-Kahrweg, ☎ 0179 - 59 732 76, Email: meier-karhweg@web.de