Mein lieber Onkel Donald

Die meisten Menschen in unserem lieben Land haben erst nicht verstanden, dass es ein Kompliment war, als Donald Rumsfeld vom „alten Europa“ sprach. Im ersten Augenblick gab es so etwas wie eine parteiübergreifende Empörung, bis der Opposition einfiel, dass es der vorlaute Kanzler war, der zu dieser Bezichtigung Anlass gegeben hatte.

Als Onkel Donald dann nachlegte und Deutschland in eine Reihe mit den Schurkenstaaten Libyen und Kuba stellte, hielten die erneut geschockten Deutschen den Mann wiederum für nicht ganz klar im Kopf, wehrten sich erbost und wieder fast vereint gegen die Vorwürfe, bis alsbald Schröders sträflicher Isolationismus als Ursache ausfindig gemacht war. Seitdem erbrechen die beleidigten Münder von Leuten wie Merkel, Stoiber, Schäuble, Gerhard, Pflüger und dem Exgeneral Naumann unentwegt die Worte „Scherbenhaufen“ und „Trümmerfeld“. Freundschaft, Bündnis, Nato und die Vision vom vereinten Europa – überall kaputtes Porzellan.

Schade, dass der für dieses transatlantische Urteil tatsächlich verantwortliche Kanzler nicht raffinierter reagierte. Damit wurde, um jetzt auch einmal einen pathetischen Vorwurf abzulassen, eine historische Chance verspielt. Zwar zeigt unsere kriegsunlustige und bewundernswert undiplomatische Regierung, zurzeit jedenfalls noch, außenpolitisch tatsächlich so etwas wie ein wenig Rückgrat. Größe allerdings zeigte sie nicht. Wie ehrwürdig, wie wirklich alteuropäisch wäre es gewesen, den Vergleich souverän anzunehmen, den Spieß umzudrehen und dem unverschämten Onkel Donald mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Wenn man schon als Schurke bezeichnet wird, ist das die ideale Gelegenheit, Klartext zu sprechen und ein paar Takte lang auf das elende diplomatische Herumeiern zu verzichten.

Als Schurke hätte Schröder es sich leisten können, deutlich zu werden wie Castro oder Gaddafi in ihren besten Tagen. Als Schurke muss man nicht jede Amerika-kritische Bemerkung mit der sattsam bekannten Versicherung beginnen, dass Saddam ein schrecklicher Diktator sei, um anschließend doppelt und dreifach zu geloben, dass Amerika-Kritik um Himmels Willen nicht mit Antiamerikanismus verwechselt werden dürfe, dass Amerika trotz allem und nach wie vor unser allerbester Freud sei, auch wenn man sich dort schon überlegt, wie man die deutsche Wirtschaft für die verräterische Politik abstrafen kann.

Schon seltsam übrigens und ziemlich sonderrollenartig, dass es für die Deutschen weniger heikel zu sein scheint, Israel wegen seiner Politik zu kritisieren (und damit angeblich das Volk der Opfer) als die USA (und damit angeblich das Volk der Befreier). Offenbar zählt die Schuld der Dankbarkeit mehr als die Schuld des Verbrechens. Wenn es so weiter geht, wird Antiamerikanismus bald so verwerflich sein wie Antisemitismus.

Eine Rumsfelds Ruppigkeit angemessene, wirklich alteuropäisch-aufgeklärte Antwort hätte lauten können:

Lieber Onkel Donald!

Von einem Land, dessen Präsident nach jeder kindischen Beschwörung des Bösen und nach der Drohung, seine Geduld sei am Ende, seine Gosche so unglaubwürdig schließt, die Lippen dabei zusammenpresst und nickt wie ein unbegabter Schauspieler, der unbedingt den Entschlossenen darstellen will, mit einem Anflug historischer Tragik, den Blick in die Ferne, wässrig und schon etwas Trauer darin um die unvermeidlichen künftigen Opfer – während im Hintergrund die Kongress-Marionetten klatschen wie die Paradekommunisten in einem stalinistischen Propagandafilm –, von einem solchen Land lassen wir uns nichts vormachen. Seitdem ein Krieg gegen den Irak erwogen wird, seit vielen Monaten also, werden die Gehirne der politisch erregten Weltöffentlichkeit zunehmend hin und her gewaschen. Unentwegt werden die Argumente der Befürworter und der Gegner wiederholt.

Die Gegner führen aus: Krieg fordert hunderttausende von unschuldigen zivilen Opfern, destabilisiert nicht nur die Region, sondern die ganze Welt, macht die Islamisten noch wütender und bedeutet erst der Anfang des Terrorismus! Auf der anderen Seite die Vorstellung der Amerikaner und ihrer Getreuen: Leider wird es ein paar Kollateralschäden geben, aber wenn Saddam erst weggeputzt ist, wird auch bald der islamistische Terrorismus am Ende sein und Israel sich in Sicherheit wiegen können!

Es gibt in den USA auch Bush-Verächter, die den Krieg befürworten, weil erstens Saddam diesmal wohl tatsächlich ausgeschaltet werden würde, und weil zweitens in dem durch den Krieg aufgewirbelten Dreck auch Bush politisch nicht lange überleben dürfte. Nicht schlecht: Wir wären zwei pseudoreligiöse Fanatiker auf einen Streich los. Dumm nur, dass es auch einige unschuldige Tote und Verletzte geben würde. Ein Zweikampf der beiden als CNN-Liveübertragung wäre angemessener. Aber dann könnte ja das Böse siegen.

Wer nicht mehr weiß, wem er glauben soll, braucht nur die Mimik der Machthaber zu studieren. Saddam hat gar keine, das sieht in der Tat nicht gut aus. Blair reißt die Augen auf und fiept wie eine in die Enge getriebene Fledermaus immer den selben hohen Ton, während der US-Präsident nicht einmal die Glaubhaftigkeit eines ausgewachsenen Marlboro-Reklamerauchers auf die Waage bringt. Er wirkt wie einer dieser Moped fahrenden Bandenführer, die früher im alten Europa, als man Amerika noch verehrte, markige Cowboys nachzuahmen versuchten. Die kniffen den Mund auch so komisch zusammen, nickten auch großspurig – rauchten dabei aber wenigstens noch. So sehen Halbstarke aus, die sich selbst Mut zusprechen und sich für unverwundbar halten.

Unter uns: Man muss kein durchgeknallter Muselmane und auch kein Kommunist sein, um diesem Mann zu misstrauen, den man zu Beginn seiner Präsidentschaft als harmlose Puppe seiner ausgefuchsten Berater hingestellt hat. Mittlerweile wird er von allen Seiten als mächtigster Mann der Welt bezeichnet. Die Zahl der Amerikaner wächst, die das Aufplustern ihres Präsidenten bedrohlicher finden als die ominösen Giftgaswarnungen und die dazu auffordern, nicht die Ritzen der Türen und Fenster mit Isolierband abzudichten, sondern den Mund von Bush. Der Mann macht nicht nur Schläfer aggressiv.

Nur Möchtegernharteier wie Berlusconi, Aznar oder Blair und andere unerfahrene Jungeuropäer fallen auf die halbwüchsigen Drohgebärden der amerikanischen Regierung rein und finden die repressive Logik in Ordnung, mit der vom Irak absurde Zugeständnisse gefordert werden, nach deren absurder Erfüllung es dann heißt: Das interessiert uns nicht! Die irakische Regierung mag die amerikanische an der Nase herumführen, diese tut umgekehrt nichts anderes.

Als Joschka Fischer bei der Münchner Sicherheitskonferenz gefragt wurde, ob er etwa den von den Amerikanern vorgelegten Beweisen nicht traue, dachte er wohl an das europäische Porzellan und beeilte sich zu versichern, dass er seinen Kollegen Colin Powell für die integerste Person der Weltgeschichte halte, obwohl zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass Powell die aktuellen Al-Qaida-Verflechtungen Saddams mit einem Papier zu belegen versucht hatte, das von Stümpern der britischen Regierung aus einer 10 Jahre alten Doktorarbeit über den Irak abgeschrieben worden war. Immerhin war Fischers Rede ernst gewesen – und nicht einmal Rumsfeld dürfte sie für hysterisch gehalten haben. Auch das spricht für die alten Europäer: Dass man keine Witze macht vor einem drohenden Krieg. Immerhin sprach Fischer davon, dass man sich den „Ekel vor der Gewalt“ bewahren müsse. Dass war dann wohl zu hoch für Onkel Donald, der kaum begreifen dürfte, dass seine schneidigen Truppenaufmärsche auf manche europäische Gemüter ganz einfach widerlich wirken.

Zum Glück hatte Onkel Donald von einem angesehenen deutschen Journalisten, der sich nicht zu dem alten Europäern zählen lassen will, kurz zuvor andere Töne zu hören gekriegt. Ehe der Pressemann (Josef Joffe, der Chefredakteur der Zeit) sich mit seiner Frage wichtig tat, lobte er Rumsfeld nach dessen polternder Kriegserklärung minutenlang als den „amüsantesten aller Verteidigungsminister“.

Da hatte Onkel Donald geschmunzelt: Endlich war er im alten Europa verstanden worden. Die Laune stieg.

Und so konnte Joffe zum Entzücken der in München versammelten Haudegen nicht aufhören weiterzuwitzeln: Secretary of Defense, wo nehmen Sie nach dem anstrengenden Flug nur die Energie für Ihren Humor her? Falls Sie ein Mittel gegen Jetlag haben, würden Sie es mir verraten?

„Ha, ha, ha“, tönte es im Saal.

Endlich macht sich wenigstens bei einigen Presseleuten des unzuverlässigen Deutschlands der zuverlässige Kasino-Ton bemerkbar. Wenn der Krieg, den selbstverständlich keiner will, schon sein muss, dann ist es doch besser, man macht vorher ein paar Scherze und lässt sich ruppigen Charme bescheinigen. Dann ist alles nicht mehr so schlimm. Dies ist nicht die Stunde für weinerlichen Pazifismus. Um die Amis milde zu stimmen und künftigen Boykott zu verhindern, sollten wir am besten Reserve-Nato-Offiziere zu kommissarischen Leitern einiger Feuilletonredaktionen machen. Und Angela Merkel sollte bei ihrem nächster Auftritt einen Kampfanzug tragen. Nur so ist der deutsche Ruf noch zu retten.

Wem der Offizierskasino-Ton zu martialisch ist, der kann in diesen Tagen mit dem Spielkasino-Ton sein Glück versuchen und auf Krieg oder Frieden setzen. Die Kugel rollt. „The game ist over“, verkündet der Croupier. Es wird Weltpolitik gespielt. Ein paar Spieler könnten ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Und sehr viele Iraker ihr Leben.

„Lachen vereint alle“ – so beschrieb Gottfried Benn in schönem Ekel das Konsensgehabe der Militärs. Auch in seinem Gedicht „Kasino“ über die „Idioten von der Kriegsschule“ gibt es martialisches Gelächter:

„… Stille vorm Sturm: Mensch Arnim, Sie sind ganz unerschöpflich! …Eine Kugel muß man sich im Kriege immer noch aufsparen: Fürn Stabsarzt, wenn er einen verpflastern will. Na Prost, Onkel Doktor!“

In diesem Sinne sollten auch die Moderatorinnen Sabine Christiansen und Maybrit Illner für ihre Quirligkeit bei den Kriegsvorbereitungs-Gesprächsrunden belohnt, in Uniformen gesteckt und im Ernstfall als truppenbetreuende Talkerinnen rasch an die Front geschickt werden – wenn die eierweiche Bundesregierung schon keine deutschen Soldaten hergeben will.

Major Siegloch vom ZDF biss allerdings mit seinem wohlgelaunten Kriegsgejökel neulich beim Kanzler auf Granit. Als der Nachrichtenmann schadenfroh und feixend wie ein Rhesusaffe von Schröder wissen wollte, warum Deutschland partout nicht mitmarschieren dürfe, musste er sich sagen lassen, dass sein Ton dem Ernst der Lage nicht angemessen sei. Insofern sind Zweifel erlaubt, ob der Vergleich Schröders mit Wilhelm II. passend ist, ob nicht doch eher der US-Präsident der Wiedergänger des holzigen Kriegskaisers ist. Schröder ist ein humorloser Spielverderber, der einfach keinen Sinn für die amerikanische Reader‘s-Digest-Weisheit hat, dass Lachen und Humor in Uniform in Kriegszeiten die beste Medizin ist.

„Bumsti“, jauchzt in Karl Kraus‘ „Die Letzten Tagen der Menschheit“ ganz begeistert ein Fanatiker, wenn die Granaten einschlagen.

„Rumsti“ könnte es sehr bald heißen. Das Gute an all den Komissköppen, die jetzt wieder ihr Haupt erheben, ist, dass sie, wie man an Donald Rumsfeld sieht, Spaß verstehen. Nur Weicheier mögen sie nicht. Onkel Donald hat selbst gesagt, dass wir bisher alle Krisen gut überstanden haben und dass er uns im Grunde seines deutschstämmigen Herzens mag – und deswegen dürfte einem wie ihm im Grunde Schröders herbes „Nein“ mehr imponieren als das „Jawohl“ seiner bedingungslosen Gefolgsgestalten und das „Vielleicht“ der übrigen US-Vasallen.

Man kann die Amis ruhig beschimpfen, denn das tun sie auch. Chirac wurde von einem britischen Kriegsbejahungsjournalisten im amerikanischen Wall Street Journal als eine „glatzköpfige Jeanne d‘Arc in Männerkleidern“ und ein „Pygmäen-Nachfolger de Gaulles“ bezeichnet. Die englische Daily Mail beschrieb Schröders und Chiracs Kriegsverhinderungsversuche als das Verhalten „politischer Pygmäen“ – in Ordnung, dann ist Bush für uns eben nichts anderes als ein potenzgestörtes Vatersöhnchen mit Kompensationskrämpfen, dem man immerhin zugute halten muss, dass es einem die amerikanische Arroganz deutlicher vor Augen führt als sein Amtsvorgänger, dessen haarsträubende politische Fehler (der Sudan bat die USA vergeblich um eine Festnahme Bin Ladens, und Clintons CIA beantwortete nicht einmal die Faxe aus dem alten Afrika) hinter seiner grotesken Sexualreue zurücktraten.

Die Amerikakritik ist mittlerweile so verbreitet, dass man gegen die haarsträubende Politik der Supermacht schon lange keine neuen Argumente mehr vorbringen kann. Überall offene Türen. Mancher Bischof findet mittlerweile deutlichere Worte als ein Berufspolemiker oder als früher Gysi von der PDS. Schon tauchen in den Feuilletons die ersten überdrehten Stimmen auf, die aus Snobismus Verständnis für das Kriegsbedürfnis der am 11. September gedemütigten USA zeigen und es schick finden, die wohlfeile Amerikakritik zu kritisieren. Kann auch wegen der angespannten Lage auf dem Anzeigenmarkt nicht schaden. Nicht dass American Express und Coca-Cola nachher nur noch in linientreuen Organen werben. So richtig offen für den Krieg aber wagt nicht einmal Frank Schirrmacher von der FAZ zu sein, der doch bald nach dem 11. September Bush zum großen Staatsmann ausrief. Gut, dass jetzt stellvertretend der 82-jährige Stanislav Lem aus dem neuen Polen in der FAZ zum Feldzug gegen Saddam trompetet. Sollte der Schlag der Amis sich nicht erst nach Jahren im Rückblick, sondern sehr bald als große Dummheit erweisen, möchte man als große Zeitungspersönlichkeit dann lieber doch nicht auf der falschen Seite gestanden haben.

Ich kann es nicht mehr hören, denkt der Bellizist (er denkt es, nicht einmal er wagt es zu sagen), wenn der Pazifist ihm eine möglichst hohe Zahl von zu erwartenden Toten und Verstümmelten vorrechnet. Das Erinnern an eine verwüstete Zukunft ist zwar eine legitime Abschreckung, aber über die Köpfe der Lebenden hinweg bereits mit ihrem möglichst massenhaften Tod zu argumentieren ist fürchterlich, auch wenn ebendieses Elend damit verhindert werden soll. Auch das eine Drohkulisse – eine verzweifelte. Der Zynismus der Kriegstreiber produziert den Zynismus der Pazifisten – wie auch deren neuerdings ständig wiederholte Versicherung, sie seien gar keine, sondern hielten nur in diesem Fall Krieg für unangebracht.

Was aber, wenn den Amerikanern eine Entmachtung Saddams ohne nennenswerte Opfer der Zivilbevölkerung schon nach dem Abwurf der ersten Bombenladung gelingt und sie aus den Wüsten des Irak blühende Landschaften, ein liberales muselmanisches Musterland und ihren treuesten neuen Verbündeten machen? Wenn Bin Laden aus der Höhle kommt, mit sanfter Stimme die Al-Qaida-Kämpfer zum ewigen Schlaf aufruft und sich beim amerikanischen Volk entschuldigt?

Wenn die Zeit da ist für die bittere Erkenntnis, dass Bush mit seinen kindischen Grimassen Recht behalten hat, dass auf dieser Erde also auch das Gute und Gerechte jämmerliche Fratzen schneidet? Dann werden wir die Amis beglückwünschen und klaglos hinnehmen müssen, dass sie uns zur Strafe für unsere Ungläubigkeit zehn Jahre lang keine deutschen Autos mehr abnehmen.