Die EU als Zivilmacht

Fünf Fragen zur künftigen Außenpolitik der Union

taz: Herr Strutynski, der Irakkonflikt zeigt: Europa ist in dieser Frage tief gespalten. Ist es zu früh für eine gemeinsame EU-Außenpolitik?

Peter Strutynski: Nein, es ist höchste Zeit. Die Frage lautet jedoch nicht, ob es eine gemeinsame Politik geben soll, sondern, wie ihr Inhalt aussieht. Wird die EU zur Militär- oder zur Friedensmacht? Bisher war die EU eine Wirtschaftsmacht mit starken zivilen Elementen, und ihre Anziehungskraft für andere Regionen behält sie nur, wenn sie weiterhin die zivile Komponente betont. Mit den USA kann man militärisch so oder so nicht konkurrieren.

Wäre es in der EU nicht zur Irakkrise gekommen, wenn es bereits einen EU-Außenminister gegeben hätte?

Doch. Die gemeinsame Politik ist ja auch jetzt schon im EU-Vertrag festgelegt. Aber weiterhin herrscht Dualismus zwischen den Interessen der Nationalstaaten und denjenigen der Gemeinschaft. Es ist also notwendig, nun die Grundprinzipien europäischer Außenpolitik auszuarbeiten und in der Verfassung festzuschreiben. Nur dann hat der EU-Außenminister eine Chance, nicht bloß Empfehlsempfänger der Regierungschefs zu sein.

Aber Berlin hätte seinen Antikriegskurs in der Irakkrise dann zugunsten einer gemeinsamen EU-Politik aufgeben müssen?

In der gemeinsamen Erklärung zum Irak, die der EU-Sondergipfel am letzten Montag verfasste, wird der Krieg als „letztes Mittel“ bezeichnet. Zwar tauchte dieser Begriff bereits zuvor in verschiedenen Stellungnahmen der Bundesregierung auf – und konnte daher kaum überraschen. Die Öffentlichkeit wurde dennoch vor den Kopf gestoßen. Denn sie interpretierte die Antikriegshaltung der Bundesregierung in einem viel grundsätzlicheren Sinn.Von daher betrachtet sie die EU-Erklärung als Rückschritt.

Müssten die EU-Staaten im UN-Sicherheitsrat nicht verpflichtet werden, die gemeinsame Politik dort umzusetzen?

Das ist Zukunftsmusik. Denn es setzt die Reform der Vereinten Nationen voraus. Bisher ist die UNO eine Organisation, in der souveräne Regierungen nationale Interessen vertreten und nur sich selbst – nicht aber der EU – verantwortlich sind. Wenn man aber die UNO reformiert, wäre es sinnvoll, gleich einen eigenen EU-Sitz anzustreben. Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen.

Und die Bürger? Wie kann ihre Beteiligung an der Gestaltung der EU-Außenpolitik verbessert werden?

Das ist die schwierigste Frage überhaupt. Schon auf nationaler Ebene hat die Bevölkerung kaum Einfluss auf die Außenpolitik. Zum Beispiel waren 80 Prozent gegen die Anschaffung des Eurofighters, und dennoch wurde er gekauft. Nur zweimal war die Außenpolitik wahlentscheidend: 1972 bei Brandts Ostpolitik und bei der letzten Bundestagswahl. Die Bürger Europas müssen jedoch die Möglichkeit erhalten, über die EU-Verfassung in einem Volksentscheid abzustimmen. Überhaupt muss die Zivilgesellschaft und hier auch die Friedensbewegung intensiv über die Verfassung debattieren. Das hat sie bisher leider versäumt.

INTERVIEW: SABINE HERRE