Streikabbruch in Berlin durch Betrug erreicht

„Sternstunde der Demokratie“: Eine aktive CDU-Politikerin bezirzte die Humboldt-Studierenden, den Streik zu beenden

BERLIN taz ■ Es sollte sauber vor sich zu gehen. Als die Studierenden der Berliner Humboldt-Universität am Montag ihren Studentenstreik abbrachen, griffen sie zu einem parlamentarischen Verfahren. Sie entschieden den Streik per Hammelsprung. Tausende Studierende wählten die Ja- oder die Nein-Ausgänge. Nicht wenige waren ergriffen von der Sternstunde der Demokratie, in der mit 1.980 zu 1.800 Stimmen der Streik beendet wurde.

Nun stellt sich heraus: Noch bevor die Hammel sprangen, wurden sie hinters Licht geführt. Ein unabhängiges „Kompromissforum“, das für den Abbruch des Streiks plädierte, war eine parteipolitisch unterwanderte Gruppierung – mit einer aktiven CDU-Politikerin als Sprecherin. „Ich bin die Astrid“, hatte sich die 26-Jährige den rund 4.000 Studis der Vollversammlung (VV) vorgestellt. Dann hielt sie eine starke Rede, die mutmaßlich dazu beitrug, den Streik an der Humboldt zu beenden. Von der taz befragt, wer sie sei, log die Astrid: „Schneider heiße ich.“ Und behauptete, das von ihr vertretene „Kompromissforum“ sei nicht von einer Partei getragen.

Astrid Schneider aber heißt in Wahrheit Astrid Jantz. Das verschwieg sie ihren Kommilitonen ebenso wie ihre politische Funktion: Sie gehört dem CDU-Landesvorstand und der Bundesspitze der Jungen Union an. Die VV fiel auf sie herein. Sie folgte dem Vorschlag, statt Streik nur noch Protesttage zu veranstalten. Die anderen beiden großen Berliner Unis beschlossen am Dienstag aber, weiter zu streiken.

Jantz sagte gestern zu ihrer Lüge: „Das tut mir im Nachhinein Leid.“ Sie habe verhindern wollen, dass ihr „Kompromissforum“ in ein parteipolitisches Licht gerückt werde. In dem Forum seien ihre CDU-Aktivitäten bekannt gewesen. Der ReferentInnenrat (RefRat) allerdings wusste davon nichts. Man verortete sie im Umfeld des CDU-nahen Rings Christlich-Demokratischer Studenten, nicht aber in der Spitze der Landes-CDU. „Was sie getan hat, war inhaltlicher und politischer Betrug“, sagte Thomas Sieron vom RefRat der HU. „Sie hat ein demokratisches Mittel missbraucht.“ Der Streikabbruch an der HU wurde publizistisch allgemein als Stoppsignal für die Studentenproteste in der Republik gewertet.

An der Uni Leipzig hat indes der Streik gestern erst begonnen. Eine VV von 5.000 Studis entschied, bis 16. Januar zu streiken. Rund 30 stimmten gegen einen Streik. Beschlossen wurde ein „konstruktiver Streik“. Seminare finden statt, geredet werden soll aber über Hochschulpolitik. Auch das Rektorat findet das gut. „Wir stehen auf der Seite der Studierenden und unterstützen ihren kreativen Protest“, sagte die Leipziger Prorektorin Charlotte Schubert der taz. Im Rektorat wurde ein Streikaußenposten eingerichtet: Telefon, Computer, Kopierer werden den Streikern gestellt. Abends gehen sie wieder nach Hause. Besetzung light.

Im Streikkomitee wünschen hingegen viele eine härtere Variante des Streiks. „Der StuRa ist zu gutgläubig, deswegen wollen manche radikalere Aktionen“, sagte ein Studentin. Gestern zogen prompt mehrere hundert Studenten vor das Leipziger Hotel Renaissance, um gegen Bundeskanzler Schröder (SPD) zu demonstrieren. „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“, sangen die Studis. Die Protestierer wollten den Kanzler, mussten sich aber mit Bildungsministerin Bulmahn (SPD) begnügen. Sie versuchte, die Vorzüge des neuen SPD-Elite-Konzepts zu erläutern.

Die Studis der Weimarer Bauhaus-Universität wollten gestern über Streik entscheiden. Das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Studentensprecher Martin Leitner sagte, ein Ziel hätten die Streikenden schon erreicht: „Es gilt jetzt nicht mehr das Märchen von guten Studienbedingungen in Thüringen.“STEFAN ALBERTI, FLORIAN OEL