: Freie Bahn dem Billigen
Mit seiner Initiative will Bush die Stimmen der Hispanics gewinnen – und die Nachfrage der Wirtschaft nach günstigen Arbeitskräften befriedigen
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
Es ist die größte Reform des amerikanischen Einwanderungsrechts seit zwei Jahrzehnten: Während viele europäische Länder an Überalterung leiden und nicht wissen, wie sie ihre Gesellschaften verjüngen sollen, öffnen die USA ihre Tore für junge, nachwuchsfreudige und arbeitswillige Einwanderer aus aller Welt. Millionen illegaler Immigranten, das hat US-Präsident George W. Bush am Mittwoch angekündigt, sollen künftig eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten.
„Unser Land braucht ein Einwanderungssystem, das der amerikanischen Wirtschaft dient und den amerikanischen Traum reflektiert“, so der Präsident. Das Gesetz sei jedoch kein Blankoscheck für die Einbürgerung illegaler Einwanderer. Es gehe lediglich um eine überfällige Anpassung an veränderte gesellschaftliche Realitäten. In den USA leben schätzungsweise 8 bis 14 Millionen Illegale – ohne soziale Sicherung, der Diskriminierung durch Arbeitgeber und Behörden ausgesetzt. Sie stammen überwiegend aus Lateinamerika, aber auch aus Afrika und Asien.
Die Pläne sehen vor, dass Firmen in Zukunft Ausländer einstellen können, falls sich für die betreffende Arbeit kein US-Amerikaner findet. Sollte ein illegaler Einwanderer bereits in einem solchen Arbeitsverhältnis stehen, wird sein Aufenthalt automatisch legalisiert. Wer über gültige Papiere verfügt, kann dann auch gefahrlos in sein Herkunftsland und wieder zurück in die USA reisen. Die Arbeitsgenehmigungen sollen zunächst für drei Jahre ausgestellt werden. Eine Verlängerung um weitere drei Jahre ist möglich. Einwanderer, die einen Job erhalten, können sich zudem parallel um die begehrte „Green Card“ bewerben, die den unbefristeten Aufenthaltsstatus garantiert. Jährlich werden davon rund 140.000 ausgestellt. Bush will diese Zahl leicht erhöhen.
Der Präsident präsentiert sich mit dieser ersten großen politischen Initiative im beginnenden Wahljahr als Konservativer mit Herz – doch seine Motive sind wirtschaftlicher Natur und folgen einem innenpolitischen Kalkül. Viele Unternehmen suchen händeringend nach billigen Arbeitskräften und stellen aus Mangel an arbeitswilligen Amerikanern illegale Einwanderer ein. Die Schattenwirtschaft, eine tragende Säule der US-Wirtschaft, ist der Regierung aber wegen der riesigen Steuerverluste seit langem ein Dorn im Auge. Hinzu kommt, dass die Regierung vor dem Hintergrund der terroristischen Bedrohung ein gesteigertes Interesse daran hat, jede Form der Illegalität zu bekämpfen. Das Programm ist daher ein Gemeinschaftswerk von Heimatschutz- und Arbeitsministerium.
Eine Woche vor seiner Mexiko-Reise will Bush zudem eines seiner ältesten Wahlversprechen einlösen. Nach seinem Amtsantritt hatte er angekündigt, das Einwanderungsrecht für illegale Beschäftigte aus dem südlichen Nachbarland zu verbessern. Das Thema verschwand allerdings nach den Anschlägen vom 11. September von der politischen Agenda. Nun, da das Rennen um das Weiße Haus eröffnet ist, ist ein günstiger Zeitpunkt, um in der mittlerweile größten Einwanderergruppe der Latinos Punkte zu sammeln. Viele Fragen sind jedoch noch ungeklärt: Was passiert nach den drei oder sechs Jahren? Droht anschließend die Abschiebung oder ist eine erneute Bewerbung möglich? Dürfen abhängige Familienangehörige ebenfalls legal in den USA leben?
Die Pläne bedürfen ohnehin der Zustimmung des Parlaments. Dort wird mit heftigem Widerstand gerechnet, wie erste Reaktionen zeigen. Viele Parteifreunde von Bush fühlen sich verraten. Vor allem der rechte Flügel der Republikaner lehnt die Vorschläge ab. Kommentator und Rechtsaußen Pat Buchanan nennt die Pläne „eine Belohnung für Gesetzesbrecher“. Die Gegner einer liberalen Einwanderungspolitik wettern, die neue Initiative schade den arbeitslosen Amerikanern. Auch die oppositionellen Demokraten halten sich mit Lob zurück, selbst wenn sie in der Sache zustimmen möchten. Erneut müssen sie erleben, wie sich Bush als Meister der politischen Taktik erweist und ihnen ein wichtiges Wahlkampfthema abspenstig macht. Auch die Vertreter der Immigranten hegen gemischte Gefühle: Sie hätten das Gastarbeiter-Programm lieber an die „Green Card“ gekoppelt gesehen und fürchten eine Abschiebung auf Raten.
Die meisten Einwanderer dürften sich mit diesen Problemen nicht quälen und das Angebot dankbar annehmen, glauben Fachleute. Zu verlockend ist die Aussicht auf sechs Jahre legalen „American Way of Life“. Und Kinder, geboren in den USA, können dann immer noch die Eintrittskarte zum dauerhaften Aufenthalt sein.