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Archiv-Artikel

Die Partei mit den zwei Zungen

In Sachsen fordern PDS-PolitikerInnen eine „PDS-Verträglichkeitsprüfung“ für nicht linientreue Kreistagsabgeordnete. Denn die stimmen gerne mal mit der örtlichen CDU

DRESDEN taz ■ Die PDS-Landtagsabgeordnete Andrea Roth ist sauer auf ihre Genossen im Kreistag. Die entschieden oft entgegen der Parteilinie, wenn es um Abfallpolitik, Schulnetzplanung, Privatisierung von Krankenhäusern oder um den Verkauf städtischer Immobilien gehe, klagt die Abgeordnete, die zugleich Gemeinderätin im vogtländischen Tannenbergsthal ist. „Macht ihr in Dresden mal eure Opposition – wir vor Ort wissen’s besser“, hat Andrea Roth sinngemäß schon häufiger zu hören bekommen. Die PDS-Kreistagsfraktion folge eher der von Landrat Tassilo Lenk (CDU) ausgerufenen „Koalition der Vernunft“ als den eigenen Überzeugungen. So drohe man zur Kopie der CDU zu verkommen und damit an Attraktivität beim Wähler einzubüßen, befürchtet Roth.

Auch der PDS-Kreisvorsitzende Bernd Steudel beklagt in einem offenen Brief, „dass die Wahlprogramme unserer Partei, die von uns beschlossenen kommunalpolitischen Grundsätze der PDS Vogtland und andere Beschlüsse der Partei von einigen Genossen und Kollegen Abgeordneten nicht mehr als für alle verbindlich betrachtet werden“. Sympathisanten und Wähler aber wollten keine Partei, die mit zwei Zungen spricht und Bürgerinitiativen in den Rücken fällt. Eine Kreiskonferenz am 29.März soll mit solchen „Tendenzen der Selbstüberschätzung und Ungebundenheit gegenüber unserer Partei“ aufräumen.

Andrea Roth möchte deshalb eine „PDS-Verträglichkeitkeitsprüfung“ in die Geschäftsordnung der Kreistagsfraktion einbauen. Abgeordnete müssten dann ihre Standpunkte und Entscheidungen vor der Fraktion und dem PDS-Kreisverband begründen.

Die Umweltpolitikerin ärgert beispielsweise die Zustimmung ihrer Fraktion im Weißeritzkreis zur angeblich hochwassersicheren Verlegung der Bundesstraße 170 auf die Höhenzüge des Osterzgebirges. Bürgerinitiativen und Naturschützer, aber auch das sächsische Umweltministerium protestieren gegen das unsinnige Vorhaben. In einem Gespräch Anfang Februar konnten die Genossen der Kreistagsfraktion überzeugt werden und übten Kritik und Selbstkritik. Man habe sich anfangs von der CDU über den Tisch ziehen lassen, hieß es danach.

An die Eskapaden des bewusst überparteilich agierenden Hoyerswerdaer Oberbürgermeisters Horst-Dieter Brähmig hingegen hat man sich schon beinahe gewöhnt. Seine Forderung nach Ausstieg aus dem Flächentarif im öffentlichen Dienst hatte jüngst den Widerspruch des PDS-Innenpolitikers Michael Friedrich im Landtag herausgefordert, nach dem Motto: Die beste Opposition ist immer noch die eigenen Partei. Auf Parallelen zur Bundespartei angesprochen, reagieren die PDS-Landespolitiker meist mit einem vielsagenden Lächeln.

Doch ihre Chefin, die PDS-Landesvorsitzende Cornelia Ernst, sieht zumindest Ermahnungsbedarf: „Nicht hinnehmbar“ seien die Widersprüche zwischen politischen Aussagen und dem Abstimmungsverhalten von Abgeordneten. Kreistags- oder Stadtratsfraktionen fehle oft die Debatte in den eigenen Reihen. Der Vorschlag der Abgeordneten Roth muss wohl auch noch einmal in den eigenen Reihen debattiert werden: Der Mangel an innerer Demokratie dürfe nicht durch einen neuen Zentralismus und Eingriffe in das freie Mandat ausgeglichen werden, mahnt die Landesvorsitzende. Eine „PDS-Verträglichkeitsprüfung“ sei zwar richtig gemeint. „Aber der Begriff“, so Ernst, „bereitet mir Bauchschmerzen.“

MICHAEL BARTSCH