Karl Marx kurbelt den Umsatz an

Dank Finanzkrise sind die blauen Bände des Kapitalismuskritikers Karl Marx wieder gefragt. Hochschulgruppe der Linkspartei bietet „Kapitalkurse“ an. Die Durchhaltequote aber ist gering

Lange wollte es niemand lesen, Karl Marxens „Kapital“. Jetzt ist der Schinken binnen weniger Wochen ausverkauft. Und an der Uni kommt der gute alte Marx-Lesekreis wieder zu Ehren: zum Beispiel am Mittwoch, 18 Uhr in der FU mit Prof. Alex Demirovic (Silberlaube K24/21), am Donnerstag an der HU um 19 Uhr mit Dr. Michael Heinrich (Dootheenstr. 24, Raum 1.101).

VON PLUTONIA PLARRE

Auf dem blauen Einband steht in goldenen Lettern: „Karl Marx. Das Kapital. Erster Band“. Das 1.000 Seiten dicke Buch ist in der Reihe der vom Karl Dietz Verlag herausgegeben Marx-Engels- Werke der Klassiker. Ganze 400 Exemplare hat der Verlag im Jahr 2005 verkauft. Anders in diesem Jahr. Am Wochenende meldete der Verlag: „Wir müssen nachdrucken“, das Lager sei leer.

Mit 2.400 Exemplaren hat der Dietz Verlag 2008 so viele Marx-Werke verkauft wie lange nicht mehr. Vor 30 Jahren gehörten die blauen Bände zum Standard in den Regalen der Linksintellektuellen. Was aber treibt die Menschen heute dazu, sich den alten Schinken zuzulegen?

Eigentümer des Verlags ist die der Linkspartei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Bei uns ist die Hölle los“, sagt Sabine Nuss, bei der Stiftung Referentin für politische Bildung. Selbst der Guardian, die Times und CNN wollten über die Verkaufswelle zu berichten. Nuss hat über Marx promoviert und veranstaltet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Kapital-Kurse.

Die Renaissance habe schon vor dem 125. Todestag des Kapitalismuskritikers im März begonnen, meint Nuss. Durch die Finanzkrise habe sich der Hype aber verstärkt. „Erkenntnisinteresse über das Wesen der Krise“ vermutet Nuss als Grund für die gesteigerte Nachfrage. „Für Marx ist die Krise kein Betriebsunfall im Kapitalismus, sondern der Normalfall. Die Leute wollen wissen, wie er das erklärt.“

Das Kapital kaufen ist das eine. Den Wälzer lesen das andere. Von ihren Kursen weiß die 40-Jährige, dass nur wenige bis zum Ende durchhalten. Dabei sei der Band 1, „Kritik der politischen Ökonomie“, im Gegensatz zu Band zwei und drei vergleichsweise anschaulich geschrieben. Von einstmals 80 Interessenten, die sich im Februar für den aktuellen Kurs angemeldet hätten, so Nuss, „sind jetzt noch 20 dabei“. Am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, wo die Politologin bis 2003 Kapitalismuskurse gab, sei das nicht anders gewesen.

Dagegen hält Beatrix Bouvier das Gerede vom Run auf die Marx-Werke für eine geschickte Verkaufsstrategie des Dietz Verlags. Bouvier ist Leiterin des Studienzentrums Karl-Marx-Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung in Trier. Mit dem an den Universitäten organisierten Projekt „Marx-Comeback durch Finanzkrise“ sorge der Hochschulverband der Linkspartei unter den Studenten selbst für den Absatz von Marx-Büchern, meint Bouvier.

Ein Blick auf die Internetseite des Sozialistischen Demokratischen Studierendenverbands der Linkspartei (SDS) ergibt, dass für das Wintersemester bundesweit an 31 Universitäten Lesekreise zu „Das Kapital“ angeboten werden – in Berlin an der Humboldt- und an der Freien Universität. Begründet wird die Initiative damit, die Finanzkrise werfe Fragen nach Alternativen zum kapitalistischen System auf. An den Hochschulen gäbe es aber kaum Angebote, sich mit kapitalismuskritischen Theoretikern wie Marx auseinanderzusetzen.

Auch der Berliner Aufbau-Verlag, der eine fünfbändige Studienausgabe von Marx-Werken herausgibt, verzeichnet ein Umsatzplus. Das betreffe aber nur den ersten Band, „Die politische Ökonomie“, sagt Verkaufsleiterin Sabine Mayer. „Ob das mit der Finanzkrise zu tun hat, darüber kann man nur spekulieren.“

Selbst im Mehringhof-Buchladen „Schwarze Risse“ – bekannt für sein kapitalismuskritisches Sortiment – sorgt die Krise für steigende Nachfrage. Bestseller ist hier allerdings die „Kritik der politischen Ökonomie“ von Michael Heinrich, Redaktionsmitglied der Zeitung für kritische Sozialwissenschaften Prokla. Einen Run auf die Marx-Bände habe man noch nicht festgestellt, sagte eine Mitarbeiterin. Doch dann fällt ihr ein, dass sie „Das Kapital, Band 1“ gerade kürzlich verkauft hat. An eine Frau, die von ihrem Äußeren ausgesprochen bürgerlich wirkte. „Sie wollte es einem Kind zur Taufe schenken. Sie hat gesagt: Das ist ein wichtiges Buch fürs Leben.“