Die Vergangenheit spaltet

Am Sonntag gibt es in Namibia zwei getrennte Gedenkveranstaltungen zum Herero-Aufstand. Die Regierung lässt sich am liebsten selbst feiern

VON ROLF-HENNING HINTZE

Nora Schimming-Chase, Namibias frühere Botschafterin in Deutschland, hat zum Herero-Aufstand eine klare Meinung: „Es war eine namibische Tragödie, und wir sollten sie auch als eine solche sehen.“ Die Gestaltung der Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag ist allerdings so umstritten, dass es nun zwei separate Feiern geben wird. Zu der einen lädt für Sonntagnachmittag ein „Nationaler Planungsausschuss zum Gedenken an 1904“, der auf eine kirchliche Initiative zurückgeht, in Windhoek ein. Die andere leitet Herero-Oberhäuptling Kuaima Riruako am vormittags im Städtchen Okahandja.

Dort treffen sich alljährlich im August mehrere tausend Herero, um des Häuptlings Samuel Maharero zu gedenken. Zur Feier am Sonntag erwartet Riruako „mindestens 4.000 Besucher“. Er selbst wird die Hauptrede halten. Auch der deutsche Botschafter, Wolfgang Massing, wird in Okahandja sprechen.

Die kirchliche Feier in Windhoek hat eine kompliziertere Vorgeschichte. Seit Monaten hat sich der Planungsausschuss regelmäßig getroffen, um ein Konzept zu erarbeiten. Vorsitzender ist der hererosprachige Bischof Kameeta von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, bis vor vier Jahren noch stellvertretender Parlamentspräsident und Abgeordneter der regierenden ehemaligen Befreiungsbewegung Swapo (South West African People’s Organization). Die Veranstalter haben akzeptiert, dass die Swapo, die das Land jetzt im 13. Jahr regiert, nicht bereit ist, den Herero-Aufstand als Mittelpunkt der Gedenkfeiern hinzunehmen. Um bei der Swapo-Führung überhaupt Zustimmung zu einer nationalen Gedenkfeier zu bekommen, einigte sich der Planungsausschuss schließlich darauf, den gesamten Widerstand gegen Kolonialismus und Apartheid zum Thema zu machen.

Ausschussmitglied Reinhard Keding, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, versteht indes sehr gut, dass die Herero ihren Krieg gegen die Deutschen besonders herausgestellt wissen möchten. Zugleich räumt er ein, dass die Swapo den Versuch macht, ihre eigene Befreiungsgeschichte „höher zu stellen als das, was früher war“. Schimming-Chase, die jetzt Fraktionschefin der oppositionellen Kongressdemokraten (Congress of Democrats) in der Nationalversammlung ist, steht in diesem Fall auf der Seite von Oberhäuptling Riruako. Es sei den Herero nicht zu verdenken, dass sie 2004 als „ihr“ Jahr betrachten, meint sie.

Zu den Empfindlichkeiten der Swapo gehört ihre Scheu, sich der eigenen Geschichte im Einzelnen zu stellen. Sie weigert sich bis heute, das schwärzeste Kapitel ihrer Geschichte im Befreiungskampf aufzuarbeiten: die Verhaftung von hunderten eigenen Kämpfern in den 80er-Jahren. Die meisten dieser Männer und Frauen wurden bei Lubango im Süden Angolas unter Folter dazu gebracht, falsche Geständnisse abzulegen, sie hätten als Spione für das Apartheid-Regime gearbeitet. Viele verschwanden spurlos für immer oder wurden in Erdlöchern festgehalten und erst 1989, wenige Monate vor den ersten Wahlen, freigelassen. Bis heute hat die Swapo sich dafür nicht entschuldigt.

Aber auch andere Teile der namibischen Gesellschaft wollen die Vergangenheit nicht noch einmal unter die Lupe nehmen. Manche Deutschsprachige fühlen sich sofort angegriffen, wenn vom Herero-Krieg gesprochen wird, obgleich sie selbst gar nicht dabei waren. Andere Weiße scheuen Diskussionen über die Kolonialzeit, um Fragen nach ihrer eigenen Rolle während der Apartheid-Jahre zu entgehen. Schließlich endete die südafrikanische Unterdrückung erst 1990. Bischof Kameeta wirbt nun dafür, „die Last der Geschichte auf dem mühsamen Weg der Versöhnung nicht abzuwerfen, sondern sie als Wegweiser für eine bessere gemeinsame Zukunft zu nutzen“. Solange die Swapo da nicht mitmacht, wird das wohl eher ein frommer Wunsch bleiben.

Auch die Herero sind sich nicht einig. Einer der prominentesten, Katuutire Kaura, Vorsitzender der Oppositionspartei Demokratische Turnhallenallianz (DTA), wird in Okahandja keine Rede halten. Seit Häuptling Riruako vor einigen Monaten sein DTA-Mandat im Parlament niederlegte, herrscht zwischen beiden Herero-Führern tiefer Zwist. Der Swapo kann das nur recht sein.

Hinweis: ROLF-HENNING HINTZE arbeitet als freier Journalist in Frankfurt und bereist seit vielen Jahren Namibia. 1993–95 arbeitete er als Redakteur der Namibian Broadcasting Corporation (NBC) in Windhoek.