: Enger gezogene Maschen
Heavy Rotation: Der Ausstellungsraum Taubenstraße 13 komprimiert mit „Feine Ware“ im Kunstverein Harburger Bahnhof über drei Jahre Ausstellungspraxis im Zeitraffer
von CHRISTIAN T. SCHÖN
Sperrig stehen die Skulpturen und Installationen der Ausstellung Feine Ware im großen Saal des Kunstvereins Harburger Bahnhof und ordnen sich karusellartig um ein Raum-Imitat der Taubenstraße Nr. 13. So als warteten sie darauf, turnusgemäß hineingetragen zu werden, wie die Lalebürger das Licht in ihr neugebautes fensterloses Rathaus trugen im Glauben, im Inneren würde es dadurch hell.
Die Raumnachbildung ist Kunstwerk (von Lutz Krüger) und Ausstülpung des realen Ausstellungsraumes in St. Pauli, der keine „Galerie“ sein will, in die Parallelwelt Harburg. Die Trans-Mission des Kunstraums Taubenstraße wird sichtbar: alle vertretenen KünstlerInnen haben ihre Spuren in dem kaum 15 qm großem Raum, in kx oder in einer befreundeten Galerie hinterlassen. Gleichzeitig wird der nach einer Feuerzündung sternförmige Zustand für einen Augenblick fest eingefroren: das engmaschige Netz der jungen Hamburger Kunstszene, das von artgenda-Organisatoren bis zu ehemaligen und aktuellen Hamburg-Stipendiaten reicht – und selten in diesem Umfang zu sehen ist.
Das Zusammenkommen ist unprätentiös, das wilde Kuddelmuddel aus Stils und Formsprachen trashig inszeniert. Eine schwarze, dominierende Kulissenskulptur (Arne Klaskala) und ein Bodenmosaik (Markus Lohmann) geben das beengte Raumgefühl vor. Daneben stehen brüchige Welt-Erklärungsmodelle (Marco P. Schaefer) und Utopie-Konzeptionen (Inga S. Thorsdottir). Jan Holtmann gibt mit seinem „Gartenwasserhahn, tropfend“ einen Handlungsrahmen für Putzfrauen und Hausmeister, die die Pfütze aufwischen.
Auf eine stolze Serie von 70 Künstlerpräsentationen seit der Gründung des Ausstellungsraums Taubenstraße vor dreieinhalb Jahren können die GründerInnen Tatjana Greiner und Tjorg Beer zurückblicken. Auflage für die KünstlerInnen war, dass sie einen Teil der Miete tragen. In gewohnt rasanter Rotation werden sie in Harburg bis Ende April für Feine Ware drei Gruppenschauen mit jeweils 20 Arbeiten über die „Plattform Taubenstraße“, so der temporäre Ortsname, gehen lassen. Durchgehend läuft ein umfangreiches, packendes Videoprogramm. Susanne Luptovits lässt „Betty“ in den Alpen onanieren, Ina Hattebier choreographiert vier Minuten grüne Gießkannen. Stefan Panhans zeigt das fesselnde Porträt eines stillstehenden Jungen. Und in Ulla von Brandenburgs Film-Collage Ja, Auch Sie! fällt der Satz „Warte nur noch bis heute Abend, ich werde das Bild verkaufen!“. Fotografien und Zeichnungen sind übrigens ebenfalls vertreten, doch sie gehen an den weißen Wänden gegenüber den überdimensionalen Raumskulpturen unter.
Man könnte das Feine Ware-Karussel als Nabelschau bezeichnen. Doch nur mit intensiver Eigeninitiative können KünstlerInnen-Kollektive wie Taubenstraße, Hinterconti oder Galerie 88, die die Kunstszene in Hamburg prägen, überleben und dem kalten Sturm in der Kulturpolitik den Bunsenbrenner des Kreativen entgegenhalten.
Harburg ist dabei nicht zufällig Zentrum. Der Harburger Kunstverein bietet die (vor allem räumliche) Kapazität für die Präsentation des autonomen Netzwerks Taubenstraße. Hinzu kam am Eröffnungsabend schwere Schützenhilfe von der Kunstkritikerin Noemi Smolik mit einer Rede. Danach führte Tjorg Beer die Explosion der Ausstellungsraums höchstpersönlich durch, übrig geblieben von der Knall-Peng-Vorführung ist ein zerstörtes Laborium.
Di–So, 13–18 Uhr, DB-Bahnhof Harburg, zw. Gleis 3 + 4, 1. Stock, noch bis 9. März (Teil II: 14.–30. März; Teil III: 4.–20. April, Eröffnung jeweils 19 Uhr), Katalog 20 Euro