angeschaut
: Bei „Don Carlos“ versicherte sich das Publikum seiner eigenen Lebendigkeit

Über den „Don Carlos“ von Friedrich Schiller im Kölner Schauspielhaus sollte man vielleicht zwei Rezensionen schreiben: Eine, die trotz allem versucht, die Intentionen des Regisseurs Marc Günther nachzuvollziehen und eine, die unvermittelt auf die Wirkung des Stücks eingeht. Diese zweite muss vernichtend sein. Denn dieser „Don Carlos“ ist so steif, so kühl und uninspiriert, dass einen schaudert, wenn man nicht gerade einschläft. Günthers Absichten mögen tiefsinnig sein. Einen profunden Ausdruck finden sie nicht. Die erste Rezension wäre also reine Spekulation. Sie bleibt deshalb aus.

Dabei fängt es noch ganz spannend an. Vor jedem Akt formiert sich die adelige Gesellschaft neu nach den Worten einer US-Aerobic-Lehrerin: „Step, turn...“ spricht sie und die Figuren drehen sich nach diesem Exerziertext. Auf einem Bildschirm über der in kaltem Rot erleuchteten Bühne spricht Don Carlos‘ Vater Philipp II., König von Spanien (Michael Altmann routiniert als Elder Statesman). Selbst in die geheimsten Gedanken des Herrschers blickt so das Publikum, das dem alten König, seinem Sohn, dem Klerus und dem Freidenker Posa beim Ringen um die Macht zusehen darf.

Wie skrupellos sie ihre Macht einsetzen, symbolisiert das Beispiel der jungen Frau, die das ganze Stück erst stehend, dann liegend auf der Bühne verbringt wie ein zierendes Möbelstück, weil sie beim König in Ungnade gefallen war. Diese eindimensionale Anspielung ist typisch für den strengen, aber fantasielosen Aufbau der Inszenierung, mit der Günther den Schauspielern die Luft zum Atmen nimmt.

Markus Scheumann hat als Einziger das Privileg erhalten auszubrechen und nimmt es offenbar gerne an. Seine Interpretation des Don Carlos macht beim Zuschauen Spaß, auch wenn er als Objekt der Begierde für die viel reifer wirkende Mutter (Oda Pretzschner) niemals in Frage kommt. Wenigstens ihm gelingt es, das Korsett der Regie ein wenig aufzuschnüren. Das aber kostet heillos viel Kraft.

So nahm bei der Premiere am Freitag auch der Reiz des adoleszenten Don Carlos und seiner infantilen Gebärden mit der Dauer des Stückes ab. Einen Beitrag dazu leistete Lukas Holzhausen. Seine Blässe in der Rolle des Marquis von Posa tauchte auch den Carlos in ein fahles Licht, in dem die Schattierungen der charakterlichen und situativen Zerrissenheit immer schwieriger zu differenzieren waren.

Im letzten Akt schreckte das Publikum noch einmal hoch, als der Schuss fiel, der den Intriganten Posa niederstreckte. Dann brach es in lauten Applaus aus – wie um sich seiner eigenen Lebendigkeit zu versichern.

SEBASTIAN SEDLMAYR

Nächste Termine: 12., 22. Januar, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Köln, Karten unter Tel 221-28400