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Archiv-Artikel

Der Menschen Hörigkeit

Zehn Gebote? Zehn Worte! Waller Gemeinde nutzt Kresnik-Alarm für theologische Diskussionen über die Schrift

Von bes

Noch hat Johann Krensiks Bilderbogen zu den Zehn Geboten nicht Premiere gefeiert. Der erste Gewinner des Projekts allerdings steht fest: Es ist, an den Rändern der Stadt, die theologische Diskussion.

Im Zentrum hat die keinen Platz. Denn am Dom, wo das Theater eigentlich gastieren sollte, gestaltet man sein Gemeindeleben doch lieber so, wie es die Boulevardpresse gebietet: Im Dezember fürchtete die „Bild“ aufgrund kursierender Iszenierungsideen um ihr Tittenmonopol. Sie forderte die Hauptkirche zum Verzicht auf. Die gehorchte.

Sinnvoller nutzt nun die evangelische Gemeinde Walle den Kresnik-Alarm. Dort eröffnete gestern der katholische Theologe Adalbert Keilus eine Gottesdienstreihe, die Exodus 20, 1–20 zum Gegenstand individueller Deutung macht. So spricht am 1. Februar Unternehmensberater Götz Richter in der Waller Kirche unter dem Titel „Der verkaufsoffene Sonntag – eine Chance für die Religion?“ zur Sabbatfrage. Kommende Woche predigt Weserburg-Kurator Peter Friese in der Immanuel-Kapelle darüber, dass man sich, Gott zufolge, „keine Darstellung von irgend etwas“ machen dürfe.

Eine kluge Initiative. Denn obwohl auch im Theater der Denksport des Textauslegens eine Rolle spielt, ist sein ursprünglicher Ort die Kirche: Theologie gründet auf der Annahme, dass heilige Schriften mehr bedeuten, als die Buchstaben verraten. Deshalb hat die Gotteswissenschaft zuerst den Wunsch formuliert, zu wissen, was zum Teufel uns der Autor sagen will.

Der Weg zum Verständnis führt über Textkritik: Keilus untersucht das Wort „Gebot“. Das gebe es im Hebräischen nicht. Dort sei nur von „Worten Gottes“ die Rede. Ebenso zweifelhaft die Befehlsform: „Du sollst, du sollst nicht, so haben wir das als Kinder gelernt“, so der Geistliche. Das Original formuliere viel sanfter, die Übersetzung begünstige eine autoritäre Deutung. Dagegen stellt der Theologe das Gesetz als Weg in die Freiheit, eröffnet durch die „Bindung an Gott“. Deshalb werde Jahwe als Retter „aus dem Sklavenhaus“ eingeführt. Aktuell bleibe dies, weil „Menschen stets in Gefahr sind, sich zu versklaven“. Potenzielle Sklavenhalter seien auch die Medien. Vor dem Gottesdienst hatte Keilus der taz gesagt, er werde nicht zur Kresnik-Inszenierung Stellung nehmen, „bevor’s geschehen ist“. Dem Regisseur ohne Kenntnis seiner Arbeit „Absichten zu unterstellen“ halte er für „unhöflich“. bes

Fortsetzung der Reihe: So. 18.1., 10 Uhr, Immanuel-Kapelle