: Ronaldo wünscht sich Kahn
Auch dank einer starken Leistung von Amok-Jens im Dortmunder Tor führt der BVB in der Champions League gegen Real Madrid bis kurz vor Schluss, muss sich dann aber doch mit einem 1:1 abfinden
aus DortmundULRICH HESSE-LICHTENBERGER
In der Halbzeit des Champions-League-Spiels zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid war nicht mehr ganz klar, wer bei „Europa sucht den Superstar“ die Preise abräumen würde. An der Herrentoilette des Presseraumes hatte sich eine Gruppe aufgeregter junger Mädchen versammelt, die eigentlich gekommen waren, um Digitalfotos von Raúl oder Ronaldo zu schießen. Nun aber war ihnen Alexander Klaws aus Sendenhorst im Münsterland vor die Objektive geraten, und der Nachwuchssänger aus einer nicht unerfolgreichen RTL-Show ließ offenbar jeden Gedanken an spanische Leistungssportler verblassen.
Das verwunderte kaum, denn zu diesem Zeitpunkt war aus Real Madrids Kollektion von Idolen schon längst eine ganz normale Fußballmannschaft geworden. Der große Zinedine Zidane etwa muffelte umher und war so genervt von der Hartnäckigkeit, mit der ihm Dortmunds Evanilson die Bälle vom Fuß nahm, dass er – ganz untypisch – kurzerhand einen Hobby-Klarinettisten aus Haltern namens Christoph Metzelder umsenste. Luis Figo hatte noch keinen einzigen anständigen Pass zu einem Mitspieler gebracht, und Ronaldo, dem dritten Weltfußballer auf dem Rasen, machte die Partie auch nicht mehr Spaß.
Das lag vor allem daran, dass Dortmund durch einen Treffer von Jan Koller (22.) verdient in Führung lag, was Reals Hoffnungen auf das Viertelfinale böse gefährdete. „Wir haben gezeigt, dass wir mithalten können“, sagte Metzelder später, aber das war untertrieben. Denn obwohl auch Real zwei große Chancen in der packenden erste Hälfte besaß, musste sich die Borussia ärgern, nicht noch ein weiteres Tor erzielt zu haben, vor allem durch den agilen, aber abschlussschwachen Ewerthon (1. und 17.), der in der zweiten Halbzeit auch noch aus sechs Metern am leeren Tor vorbeiköpfte (62.).
Mit einer solch starken Leistung des BVB hatte kaum einer der 52.400 Zuschauer gerechnet, denn der Gastgeber musste kurzfristig auf seinen besten Spieler verzichten. Doch Torsten Frings machte den Ausfall von Tomas Rosicky wett, indem er seine Zweikampfstärke mit einem Auge für den Passweg verband. Dass ihm allerdings eine Fähigkeit des jungen Tschechen abgeht – nämlich den Ball einfach mal nur spazieren zu führen – sollte sich noch rächen.
Während also RTL-Alex in der Pause seinen Namen kritzelte, saß der 20-jährige Javier Portillo aus der Gemeinde Aranjuez in der Kabine von Real. Letzte Saison hat er 46 Tore für Madrid geschossen, allerdings alle im Reserveteam, deshalb wird er ehrfurchtsvoll seinem Trainer Vincente del Bosque gelauscht haben. Jener wirkt zwar wie ein Herbergsvater, hat aber vor vielen Jahren mal Kevin Keegan einen Faustschlag versetzt; man kann also davon ausgehen, dass er seinen Spielern gegenüber deutlich wurde. „Wir hatten Probleme im Spielaufbau“, nuschelte er dann auch nach dem Abpfiff, „aber in der zweiten Hälfte waren wir ganz gut.“
In der Tat drängte Real den BVB nach Wiederbeginn ins letzte Viertel des Spielfeldes, auch weil die Borussen im Mittelfeld den Ball nicht halten konnten. Aber ein brillanter Jens Lehmann brachte Ronaldo mit drei tollen Paraden (50., 73., 82.) so weit, dass der Brasilianer sich Oliver Kahn ins Dortmunder Tor wünschte. Demnach wäre es vermutlich beim 1:0 geblieben, wenn beide Trainer nicht kurz vor Schluss völlig vom Superstar-Prinzip abgerückt wären. Für den BVB kam der westfälische Italiener Giuseppe Reina auf den Platz, bei Real eben nicht Nationalspieler Fernando Morientes, sondern Portillo. Und der glich in der Nachspielzeit nach einem Pass des unbedrängten Zidane aus.
„Es wäre für mich ein innerer Vorbeimarsch gewesen, jetzt sagen zu dürfen: So ist Fußball, auch wir können Real schlagen“, meinte ein enttäuschter Matthias Sammer zum Ausgang. Dabei hätte er den ersten Satz durchaus sagen dürfen, denn so ist Fußball tatsächlich: Wenn der BVB nächsten Monat auf ein halbes Jahr Europacup zurückblickt, dann wird wohl alles an fünf Sekunden gehangen haben. An jenen nämlich, in denen Giuseppe Reina nach vorne sprintete und Zidane auf der linken Abwehrseite allein ließ. Deshalb war der Stürmer auch am Ende einer großartigen Partie der einzige wahre Verlierer.
„Das ist zwar nicht meine Position dort“, sagte er betreten, „aber es stimmt, ich hatte die Anweisung, die Seite zuzumachen. Es war mein Fehler.“ Und Portillo? Der lehnte an einer Mauer und sprach eine Viertelstunde lang unbehelligt in sein Handy. (Vielleicht mit seiner Familie, vermutlich mit seinem Agenten.) Als Ronaldo kam, kreischten die Mädchen. Es ist ein langer Weg bis zum Superstar.