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Archiv-Artikel

Fußball und Verachtung

Ein Mythenschöpfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Die Gesprächssammlung „Das Gesagte kommt vom Gesehenen“ gewährt seltene Einblicke in Denken und Werk Jean-Luc Godards

Godard ist einer der letzten noch lebenden Mythenschöpfer des Weltkinos. Dabei tut sich eine merkwürdige Schere zwischen der Bekanntheit seines Namens und der Kenntnis seines Werkes auf. Umfragen an Filmhochschulen würden erschütternde Ergebnisse zutage fördern. Als mit „Eloge de l’amour“ 2001 die jüngste Arbeit des Meisters in die französischen Kinos kam, war dafür nicht einmal dort ein relevantes Publikum zu rekrutieren. Hierzulande fand sich gar nicht erst ein Verleih. Und als der Film vor wenigen Tagen auf Arte ausgestrahlt wurde, nahm dies auch kaum jemand wahr.

Es scheint, als akzeptiere man zwar das Denkmal Godard, nicht aber den aktiven Filmemacher gleichen Namens, der mit immer neuen Beiträgen die Gemütlichkeit der Filmgeschichtsschreibung durchkreuzt. In den letzten Jahren sind Wortmeldungen Godards seltener denn je geworden. Da er regelmäßig Pressetermine oder Publikumsgespräche platzen lässt, avancierte die Formel „Warten auf Godard“ zu einem Intellektuellen-Kalauer. Seine stets praktizierte Verweigerungshaltung gegenüber dem PR-Rummel des Filmbetriebs fällt mittlerweile mit dem nahezu totalen Desinteresse der Öffentlichkeit zusammen. Für die verbliebene Gemeinde wächst freilich die Verheißung diametral zur öffentlichen Wahrnehmung. Ihr werden auch die zwanzig Euro nicht zu viel erscheinen, die es für eine neue, nur hundert Seiten umfassende Sammlung von drei Interviews zu berappen gilt.

Anlässlich einer Sonderausgabe der Cahiers du cinéma über die Zukunft des Kinos im 21. Jahrhundert machten sich Anfang 2000 die Herausgeber der renommierten Zeitschrift auf den Weg nach Rolle am Genfer See, um Godard zu seinen Ansichten zu befragen. Nach anfänglichem Zögern willigte dieser ein, gewährte schließlich drei Gespräche. Ergebnis ist ein erstaunlich offenherziger Einblick in das aktuelle Denken des Filmemachers.

Der schmale Band namens „Das Gesagte kommt vom Gesehenen“ wirkt gleichzeitig als beredtes Zeugnis für das Vermögen, in dieser zu Recht übel beleumundeten Branche sich selbst treu bleiben zu können. Godard erweist sich keineswegs als verbitterter Exstar der Filmregie, sondern als hellwacher Geist, der überaus kritisch die zeitgenössische Szene beobachtet, sich selbst immer wieder schonungslos zur Disposition stellt. Und stets von hintergründigem Humor und Selbstironie beseelt bleibt.

Der verblüffendste Effekt bei der Lektüre dürfte wohl seine Begeisterung für Sport sein. Godard spielt mit über 70 Jahren noch immer begeistert Tennis, interessiert sich aber auch als Zuschauer für alle möglichen Sportarten, so für Fußball. Er erinnert sich spontan an diverse Feldspieler von Honved Budapest, kommt ins Schwärmen: „Ich habe nie wieder ein Team gesehen, das in diesem Ausmaß ‚gemeinschaftlich‘ spielen konnte. Wenn der Kommunismus je existiert hat, dann in dieser Mannschaft.“ Lange Zeit plante er, selbst auch Sportfilme zu drehen, die allerdings 15 Stunden lang dauern müssten. „Aber wer mag das, außer Andy Warhol und mir?“

Godards Äußerungen zum Status quo des Kinos fallen weniger leichtfüßig, insgesamt jedoch substanzieller aus. Seine Anmerkungen zu „Eloge de l’amour“ – der ja einen Film über die immanente Unmöglichkeit des Filmemachens darstellt – kommentieren einmal mehr den dekonstruktiven Ansatz seiner Regie. Auch sein Debüt „À bout de souffle“ (1959) war ja quasi schon ein Pamphlet des Dekonstruktivismus, lange bevor Derrida diesen Begriff eingeführt hat. Über die Filmkritik, die immer kleiner werdende Videotechnik und die Arbeiten von Kollegen äußert er sich spontan sarkastisch, zeigt sich aber im fortgesetzten Gespräch zu Differenzierungen bereit. In allen drei Bereichen bemängelt er nicht stattfindende Reflexion. Seinen Interviewpartnern unterstellt er, austauschbare Kritiken zu veröffentlichen, die sich nicht wirklich für den jeweiligen Gegenstand interessieren. Der digitalen Videoeuphorie setzt er entgegen: „Das digitale Video macht frei, aber frei wozu? In Wahrheit ändert sich wenig.“

Sehr viele Filme (z. B. die der Coen-Brüder) fallen seiner Verachtung anheim; immerhin erfahren wir, dass er die frühen Arbeiten von Jane Campion mag sowie Lars von Triers „Idioten“ und „Der Apfel“ von Samira Makhmalbaf. Der Filmindustrie insgesamt bescheinigt er marktstrategischen Opportunismus. „Waren werden nicht mehr erzeugt, um haltbar zu sein, sondern um ersetzt zu werden.“

CLAUS LÖSER

Jean-Luc Godard: „Das Gesagte kommt vom Gesehenen. Drei Gespräche 2000/2001“. Aus dem Französischen von Jessica Beer und Thomas Kramer. Verlag Gachnang & Springer Bern 2003, 21,50 €