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Archiv-Artikel

Namibias Regierung ignoriert Gedenken

Bei Veranstaltung zum 100. Jahrestag des Herero-Aufstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft fehlen offizielle Vertreter aus der Hauptstadt Windhoek. Das liegt auch an den bevorstehenden Wahlen und sich abzeichnenden Landkonflikten

VON DOMINIC JOHNSON

Ohne offizielle Beteiligung der Regierung ist gestern in Namibia des Herero-Aufstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft vor 100 Jahren gedacht worden, der mit einem Völkermord niedergeschlagen worden war (siehe taz-Dossier vom Samstag). In der historischen Herero-Hauptstadt Okahandja versammelten sich gestern früh rund 600 Menschen zu einer Gedenkfeier unter Leitung des Herero-Oberhäuptlings Kuaima Riruako, der zu Unterstützung für seine Forderung nach Entschädigung von Deutschland aufrief. Dies sei ein „Versuch, unsere Würde zurückzuerlangen und das zurückzubekommen, was uns zu Unrecht genommen wurde“, sagte Riruako. Der deutsche Botschafter in Namibia, Wolfgang Massing, sagte in seiner Rede, den Opfern und ihren Nachkommen könne Würde und Ehre zurückgegeben werden. Eine Entschuldigung und Entschädigung lehnt Deutschland jedoch weiter ab.

Namibias Regierung blieb der Feier in Okahandja fern, ebenso einem ökumenischen Gottesdienst gestern Nachmittag in Namibias Hauptstadt Windhoek, obwohl sich hier die kirchlichen Organisatoren zuvor mit der regierenden Exbefreiungsbewegung Swapo (South West African People's Organisation) darauf geeinigt hatten, das spezifische Gedenken an den Völkermord in einer allgemeinen Feier des namibischen Sieges über Kolonialismus und Apartheid untergehen zu lassen. Staatspräsident Sam Nujoma ließ durch seine Sprecherin mitteilen, er befinde sich im „Arbeitsurlaub“ und habe keine Zeit. Vizepremierminister Hendrik Witbooi, Nachkomme des gleichnamigen Häuptlings des ebenfalls am Aufstand gegen die Deutschen beteiligten Nama-Volkes, wurde ebenfalls nicht mehr erwartet, nachdem ihm die Form der Einladung nicht passte.

Ein Grund für den amtlichen Boykott des Gedenkens an einen Aufstand, dessen Unterdrückung einen großen Teil der damaligen Bevölkerung Namibias das Leben kostete und zur Entvölkerung weiter Landesteile führte, ist politisch. 2004 ist Wahljahr in Namibia, und pünktlich dazu hat Herero-Chief Riruako die Partei Nudo (National Unity Democratic Organisation) gegründet, die separat zu den Wahlen antreten soll. Damit spaltet er die Opposition gegen die Swapo.

Überschattet wurden die Gedenkveranstaltungen auch von der Angst vor einem Landkonflikt in Namibia, wo ähnlich wie in Südafrika und bis vor kurzem in Simbabwe das meiste Farmland einer winzigen Minderheit weißer Großfarmer gehört. Namibias Farmarbeitergewerkschaft kündigt für den heutigen Montag zum ersten Mal eine Besetzungsaktion an: Auf der Farm Ongombo West, nicht weit vom Herero-Gedenkort Okahandja, will sie erzwingen, dass sechs von der deutschstämmigen Farmbesitzerfamilie Wiese verjagte schwarze Arbeiter und ihre Familien wieder aufgenommen werden. Doch mit behördlicher Unterstützung kann sie nicht rechnen. Weder Deutsche noch Swapo sind an einer Konfrontation interessiert. Sie suchen den Schulterschluss – auch auf Kosten des Herero-Gedenkens.