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Archiv-Artikel

„Parade ist in Preußen was Schönes“

Die „Fidelen Rixdorfer“ holen am Sonntag ihre Uniformen hervor. Ihr Verständnis von Karneval: Straffe Ordnung, klare Rangabzeichen und bloß kein Durcheinander. Deshalb mögen sie auch den „formlosen“ Karneval der Kulturen nicht

„Tanzen, Musike, hübsche Mädchenbeine, Stimmung, Remmidemmi“, so beschreibt Manfred Mühlbrett den Berliner Karneval. Mühlbrett ist seit vier Jahrzehnten Karnevalsaktivist und Vorsitzender der „Fidelen Rixdorfer“, eines Neuköllner Karnevalsvereins mit etwa 130 Mitgliedern.

Folgt man den Ausführungen Mühlbretts, dann ist Karneval etwas Deftiges, Zackiges und Militärisches. Leider sei der normale Berliner etwas schwer diszplinierbar: „Die wissen gar nicht, wenn eine Garde oder ein Prinzenpaar reinkommt, dass man da aufsteht zu Ehren der Fahne.“

Damit so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt, hier ein kleiner Überblick über die Regularien der „Fidelen Rixdorfer“. Der wichtigste Grundsatz ist, alles gut zu organisieren. Denn „man muss die Richtung vorgeben, sonst läuft ja alles durcheinander“. So gibt es eine „Kindergarde“, eine „Juniorengarde“, eine „Jugendgarde“, eine „Große Garde“ und eine „Seniorengarde“. Solche Formationen, meint die Ethnologin Franziska Becker, „erinnern an paramilitärische Strukturen“. Alle Gruppen sind unter der Bezeichnung „Gardesport“ dem Landessportbund Berlin angeschlossen. Sie tragen Uniformen mit Schulterklappen wie beim Militär und müssen bei den „Prunksitzungen“ vortanzen und durch den Saal marschieren.

Prunksitzungen sind besonders feierliche Karnevalssitzungen für die „etwas gehobene Bevölkerungsschicht“, bei der für alle Gäste Abendgarderobe obligatorisch ist. Auf diesen Sitzungen tanzt meist ein „Tanzmariechen“ mit einem „Tanzmajor“ und an guten Tagen tritt sogar ein „Herrenballett“ auf.

Die „Fidelen Rixdorfer“ und ihr Vorsitzender Mühlbrett versuchten bereits in den 50er-Jahren vergeblich, den Karneval in Berlin zu etablieren. Neidisch blickt Mühlbrett auf den Erfolg des multikulturellen „Karnevals der Kulturen“, der seit 1996 an Pfingsten durch Kreuzberg zieht. Dieser sei, so Mühlbrett, ein formloses Fest, das „jeder zu jeder Zeit machen kann“ und sich nicht an die „gesetzlich vorgegebenen“ Karnevalszeiten halte. Deshalb befürwortete er auch die Idee einer Klage gegen die Verwendung des Namens „Karneval“ durch die Konkurrenz.

Weil „Parade in Preußen was Schönes ist“, werden die „Fidelen Rixdorfer“ am Sonntag wieder durch Mitte ziehen. So haben die Berliner die Möglichkeit, frische Jungs in Uniformen und junge Mädels „in kleinen wippenden Röckchen“ tanzen zu sehen. Mühlbrett wird dann den Zuschauern von seinem Oldtimer herunterwinken, die frisch geputzte Uniform strammziehen und einmal mehr hoffen, dass Berlin endlich zur Karnevalsstadt wird. STEFAN WELLGRAF