: Zurück zur Kaderschmiede
Die Diskussion um Eliteunis zeigt Parallelen zu den Bildungskampagnen der DDR. An ihrem Beispiel lässt sich ablesen, wohin gezielte Elitebildung führen kann: zu gezüchteten Führungskadern
VON MICHAEL BARTSCH
Wir ahnten es schon nach der Pisa-Schulstudie: Nicht nur von der Sowjetunion, sondern auch von der DDR lernen heißt siegen lernen. Der Übriggebliebene aus jenem verlorenen Land wundert sich ohnehin, wie treffsicher manche Parolen aus seiner Blauhemdzeit passen und wiederkehren: „Wissen ist Macht!“ etwa, das damals nicht dem Urheber Francis Bacon, sondern Lenin zugeschrieben wurde. „Nichtwissen macht nichts“, konterte der eher lebensdurstige als bücherverliebte Oststudent prompt.
Nun also soll Deutschlands Macht mit mehr Elitewissen gestärkt werden. Nach der Industrie-, Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft ist nun die Wissensgesellschaft dran. Erinnerungen an Kampagnenzeiten werden wach, an die ostdeutsche Bildungsexpansion der Fünfziger etwa, als es galt, alte Nazi-Eliten und in die Westzonen abgewanderte Bildungsträger zu ersetzen. Die Zeit der Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten, die Zeit, in der Hermann Kants Roman „Die Aula“ spielt. Eine Zeit, in der sozial unterprivilegierte Schichten tatsächlich eine überwiegend von ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit abhängige Aufstiegschance in der Bildungshierarchie bekamen. Nach Kampagne riecht das SPD-Konzept von Elite heute allemal wieder, wenn auch gerade nicht in diesem Sinn sozialer Durchlässigkeit.
Den Begriff „Elite“, diskreditiert durch die Nazizeit, kannte man zu DDR-Zeiten nur aus dem Fremdwörterbuch. Ihrer Selbstproklamation nach befand sich die DDR auf dem Weg in die klassenlose Gesellschaft. Die Angabe „Soziale Herkunft: Intelligenz“ auf diversen Fragebögen galt eher als Makel. Und dennoch gibt es einige bemerkenswerte Parallelen zwischen dem aktuellen Trend zu stärkerer Auslese und dem Bildungssystem der DDR. Mitnichten war die DDR so egalitär, wie sie als abschreckendes Beispiel im Gemeinschaftskundeunterricht herhalten muss. Die Potsdamer Elitestudie von 1995, das Buch „Auf dem Weg in die klassenlose Gesellschaft“ von Heike Solga aus dem gleichen Jahr oder Wolfgang Engler in den „Ostdeutschen“ zeigen es beispielsweise auf.
Trotz der obligatorischen gemeinsamen Schulzeit bis zur achten Klasse in einer Art Gesamtschule setzte doch frühzeitig eine parallele Individualförderung ein. Das galt sowohl für lernschwache Schüler wie auch für Spezialbegabte, die in Arbeitsgemeinschaften, Spezialistenlagern und Olympiaden herangezüchtet wurden. Wenn das Sein nach der materialistischen Philosophieauffassung das Bewusstsein bestimmte, dann waren auch Eliten, für die es in der DDR nur Synonyme wie „Führungskader“ gab, planbar und machbar. Für diese setzte nach der „Allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule“ (POS) eine umso schärfere Auslese ein. Nur gut jeder Zehnte marschierte auf direktem Weg über die „Erweiterte Oberschule“ (EOS) zum Abitur, auch wenn auf dem zweiten Bildungsweg viele eine Chance bekamen.
Entsprechend niedrig fiel die Zahl der Studenten aus. Im Westvergleich waren es im Jahr 1983 nur 71 Prozent, das entsprach 247 Studenten auf 10.000 Einwohner. Die Zugangskriterien waren zweifellos ideologisch verfälscht. Aber der dahinter stehende Leitgedanke ähnelt der heutigen Diskussion angesichts der Studenteninflation doch verblüffend: Deine Leistung ist die Gegenleistung zur Investition des Staates in dich und dein Studium! Erweise dich des in dich gesetzten Vertrauens als würdig!
Damals war es die propagierte 65-Stunden-Woche in einem verschulten Studium, die freilich höchstens von ein paar Strebern eingehalten wurde. Der ideologische Tribut an den Staat bestand in der Verpflichtung als Reserveoffizier, ebenso wie man als Mann zuvor am besten drei Jahre bei der Fahne gedient hatte, um sein Wunschfach studieren zu können. Heute dienen Zugangskriterien und Studiengebühren einem ähnlichen Ziel: Das Studium muss wieder etwas wert sein und folglich für den Einzelnen einen Preis haben. Nur so kämen wirklich motivierte Leute, nur so lohne der Aufwand. Wie in der DDR wird heute ein Hochschulstudium vorwiegend als zweckgebundene Ausbildung zur Steigerung ökonomischer Effizienz verstanden. Folglich verstanden sich die wenigen Schöngeistes-Wissenschaftler in der DDR als die wirkliche Elite.
Wenn andere Kriterien als die von Begabung und Motivation in die Auswahl von Studenten hineinspielen, kann man freilich auch an der DDR ablesen, wohin verschärfte Selektion führen kann. Bekanntermaßen wurden aus den Funktionseliten mit den Jahren sich selbst reproduzierende Funktionärseliten. Vor paternalistischem Zugang werden Eliteuniversitäten auch heute noch weniger gefeit sein als andere.